Sechselauten
an der Sache dran, du weißt ja … Und da habe ich gedacht, ich nehm ihn gleich mit.« Eschenbach grinste jovial. »Außerdem kommen wir kaum noch dazu, uns abzusprechen. Die EURO und mein Gipsfuß. Ich weiß nicht, was schlimmer ist.«
Lenz winkte sie herein.
Claudio schaute sich voller Bewunderung um. Lenz bewohnte zweieinhalb Zimmer einer alten Mühle, die hoch über Zürich an der Forchstrasse lag. Weil das Anwesen einem Geigenbauer gehörte, roch es überall nach frisch verarbeitetem Holz und Leim. Und ab und zu zitterten die Saiten eines Cellos, einer Bratsche oder Geige.
Der kleine Mann mit dem rötlichen Schnurrbart verschwand gleich wieder in der Küche und erschien kurz darauf mit einem großen Topf, den er hinaus in den Vorgarten trug. »Ravioli mit Ricotta- und Spinatfüllung«, kündigte er an. »Und eigenes Basilikum, wohlverstanden.« Der Tisch draußen war bereits gedeckt, und auf der verwitterten Holzbank lagen alte Militärdecken als Polsterung bereit.
Lenz kam mit einem weiteren Teller und mit Besteck. Sie setzten sich.
Jagmetti legte erschöpft sein Handy auf den Tisch. Er sah müde aus.
»Geht’s euch gut?«, fragte Lenz, nachdem sie eine Weile schweigend dem Plätschern des Bachs gelauscht und gegessen hatten.
»Ist das nicht die Frage, die ich normalerweise stelle?«, konterte Eschenbach.
»Komisch, nicht wahr?« Lenz blinzelte gegen die Sonne. Er griff nach der alten Schirmmütze, die hinter ihm auf dem Fensterbrett lag, und setzte sie auf. »Wenn die Arbeit weg ist, wird’s plötzlich einsam.«
»Also ich kann mich nicht beklagen«, sagte Jagmetti.
»Macht jetzt wohl auch noch deine Arbeit, eh?«
»So halb«, sagte Eschenbach und lachte.
»Diese Bischoff, eh? Die bereitet euch Kopfzerbrechen?« Und an Jagmetti gerichtet, meinte Lenz: »Kommen Sie denn voran?«
»Voran komme ich nur mit der EURO 08 . Großartiger Einfall von Kobler, mir gleichzeitig beides auf den Tisch zu hieven.« Claudio schluckte den Bissen herunter und schnaufte. »Okay, die Presse hat sich beruhigt. Aber seit wann ist das unsere Priorität? Jedenfalls hab ich nichts Neues. Der Junge ist im Heim, spricht nicht, und wenn er Pech hat, dann verrottet er dort.«
Eschenbach hatte Jagmetti selten so aufgebracht erlebt.
»Welcher Junge? Darüber habe ich nichts gelesen.«
»Der Eschenbach ein Bein gestellt hat. Wegen ihm ist er suspendiert. Eigentlich wäre es sowieso besser gewesen, wir hätten ihn bei den Fahrenden gelassen. Die haben sich ja auch sonst immer um ihn gekümmert.«
»Die Fahrenden?« Lenz verschluckte sich, hustete und sah fragend zwischen Jagmetti und Eschenbach hin und her.
Als Jagmetti mit vollem Mund seufzte und wieder ausholen wollte, da übernahm der Kommissar und erklärte Lenz in knappen Sätzen, was sich bisher alles ereignet hatte. »Und jetzt brauch ich was über diese Lara Bischoff.«
»Hab’s schon verstanden.«
»Und wenn es geht, auch über die Schwester. Sie hat bei der FIFA gearbeitet. Und über diesen Anwalt, den mir Lara Bischoff auf den Hals gehetzt hat. Kronenberger heißt der.«
»Ja, ja«, erwiderte Lenz. »Jetzt essen wir zuerst fertig.«
Eschenbach hörte, wie ein Wagen vorfuhr und auf dem Kiesplatz vor der Mühle anhielt. Kurz darauf kamen zwei Gärtner. Sie grüßten Lenz, als sie am Vorgarten vorbei zu den Obstbäumen gingen, die weiter unten auf einer großen Wiese standen.
Als die Teller leer waren und Lenz sich mit einer weißen Stoffserviette bedächtig den Schnurrbart abgewischt hatte, sagte er zu Jagmetti: »Wissen Sie, junger Mann. Wir leben in einer Zeit, in der jeder jedem misstraut. Alle gegen alle heißt das Spiel.«
»Nichts wirklich Neues«, sagte Eschenbach. Er pickte mit der Gabel die letzten Ravioli aus dem Kochtopf.
»Oh doch«, meinte Lenz. »Familie, Militär, Partei … Die großen Allianzen sind auseinandergebrochen. Der alte Kitt fehlt … und das hat in den letzten Jahren das System komplett verändert. Ich geb euch ein Beispiel …« Lenz zog seine alte Bruyère-Pfeife aus der Hosentasche und zündete sie an. »Im Moment läuft ein Ding gegen den neuen Armeechef. Ich würde wetten, dass der in zwei Monaten nicht mehr im Amt ist.«
»Der wurde doch eben erst gewählt«, sagte Jagmetti.
»Was spielt das für eine Rolle?« Lenz paffte kleine Rauchwölkchen in die klare Frühlingsluft. »Der Witz dabei ist: Die Informationen, die ihm das Genick brechen werden, kommen aus den eigenen Reihen.«
»War das nicht immer so?«
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