Sechselauten
versuchte sie im Auge zu behalten.
Während sie näher kamen, entdeckte er eine Person mit Kopfverband. Sie trug als Einzige Jeans und Turnschuhe. Eschenbach konzentrierte sich darauf, wie sie ging und sich bewegte. Es war eindeutig eine Frau, jünger als der Rest von Reihe zwei.
Als sie auf gleicher Höhe standen, traf Eschenbach ihr Blick. Es war nur ein kurzer Moment. Dunkles Graublau, wie Gletscherwasser, starrte aus den Höhlen der weißen Kopfbandage. Dann ging sie wortlos, und mit bolzengeradem Rücken, an Eschenbach vorbei.
»Frau Bischoff«, sagte der Kommissar mit fester Stimme. »Es wäre schön, wenn wir miteinander sprechen könnten.«
7
L ara Bischoff zögerte kurz. Einen Moment sah es so aus, als würde sie sich umdrehen.
»Mein Name ist Eschenbach …« Der Kommissar hatte den Satz bereits begonnen, als er realisierte, dass es zu spät war. Die zierliche Frau schien sich nun plötzlich anders entschieden zu
haben. Sie schlängelte sich durch den Pulk der Leute davon, und Eschenbach, mit seinen Krücken so beweglich wie eine Panzerhaubitze, stolperte beim Versuch, ihr nachzusetzen. Dass er nicht ganz zu Boden ging, verdankte er dem stämmigen jungen Mann neben ihm, der ihn gerade noch auffangen konnte.
»Nur mit der Ruhe, Sir.«
»Zum Teufel mit der Ruhe.« Eschenbach richtete sich auf. Aber von Lara Bischoff war weit und breit nichts mehr zu sehen.
Er war zu spät gekommen und hätte es dennoch schaffen können. Auf seinem Weg zum Ausgang, während er durch die Flure der Universität trottete, fluchte er leise. Er dachte daran, wie er in der Schülermannschaft einen Elfmeter an den Pfosten gesetzt hatte und wie der Ball von dort wieder zurück, direkt vor seine Füße, gesprungen war. Und dann: dieser elende Knaller in den Himmel, hoch hinauf. Der Ball, der immer kleiner geworden war und sich wie ein Vogel davongemacht hatte. Das Lachen der Zuschauer und der vorwurfsvolle Blick der Kameraden. Es sind die verpassten zweiten Chancen, die einem den Rest geben, dachte er.
Der Kommissar war in Gedanken bereits auf dem Heimweg,als er vom Universitätsgebäude hinaus in die frische Abendluft trat. Er würde sich außerhalb Londons ein Zimmer nehmen, in einem kleinen Hotel, irgendwo auf dem Weg Richtung Heathrow, und gleich am nächsten Morgen in den erstbesten Flieger steigen. Nicht einmal Lust auf ein Abendessen hatte er. Einsam und zu fremd fühlte er sich. Nur weg, nach Hause. Es war der falsche Ort oder die falsche Zeit. Es war verdammt noch mal beides.
Als plötzlich jemand seinen Namen sagte, zuckte der Kommissar zusammen. »Mr Eschenbach.« Es kam unerwartet, wie ein »Grüezi« in den Slums von Kalkutta.
»Mrs Bischoff möchte Sie sprechen«, sagte ein großer, dunkelhäutiger Mann.
»Ach so.«
»Mein Name ist Paresh Singh. Ich bin für die Sicherheit von Frau Bischoff zuständig. Wenn Sie uns bitte begleiten würden.«
Nun sah Eschenbach auch wieder die Frau. Sie hatte sich aus dem Schatten des Mannes gelöst und stand schweigend im schummrigen Licht der Straßenbeleuchtung. Lara Bischoff. Mit ihrem weißen Hemd und der Kopfbinde sah sie aus wie ein Mitglied des Ku-Klux-Klans.
Ohne ein weiteres Wort folgte er den beiden.
Der Tisch, den Paresh Singh im Regency reserviert hatte, stand in einer Nische am Fenster. Obwohl die anderen Gäste des Lokals in großem Abstand zu ihnen speisten, wählte Lara Bischoff ihren Platz so, dass sie ihnen den Rücken zukehrte.
Eschenbach hatte das Gefühl, dass sie sich schämte; und die Art, wie sie ihre Hände ineinander knotete, ließ nur vermuten, wie unbehaglich sie sich fühlte.
»Wie haben Sie mich gefunden?« Ihre Stimme war leise, beinahe flüsternd.
»Shakespeare natürlich!«, sagte Mr Singh. Es klang wie trockene Spucke.
»Ich will es aber von ihm hören.«
Eine halbe Bloody Mary lang kam kein richtiges Gespräch in Gang. Nach mehreren Blickwechseln mit Lara Bischoff stand ihr Begleiter auf und verabschiedete sich. Er tat es mit dem Lächeln des Unterlegenen. Soweit Eschenbach es beurteilen konnte, war dieser Abgang nicht Ausdruck höflicher Zurückhaltung, sondern das Resultat eines gemurmelten und gezischten Streitgespräches, das die beiden auf dem Weg ins Restaurant geführt hatten.
»Erzählen Sie mir von Ihrer Schwester«, sagte Eschenbach schließlich. »Und im Gegenzug verrate ich Ihnen, wie ich Sie aufgespürt habe.«
Lara Bischoff nickte. »Das alte Spiel von give and take , es ist immer dasselbe. Wer fängt
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