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Sechselauten

Sechselauten

Titel: Sechselauten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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an?«
    »Ladies first.«
    »Meine Schwester ist tot.«
    »Ich weiß.«
    »Und Sie sind der Letzte, der sie lebend gesehen hat.«
    »Sie war schon tot, als ich …« Eschenbach sprach den Satz nicht zu Ende.
    Lara Bischoff drehte ihren Kopf in Richtung Fenster. Da es draußen bereits dunkel war, sah sie ihr Spiegelbild in der Glasscheibe. Regungslos trotzte sie dem weißen Mumiengesicht ein paar Sekunden ab, bevor sie sich wieder Eschenbach zuwandte. »Ja. Ich hab mir die Akten angeschaut. Paresh hat sie mir besorgt. Und heute Nachmittag habe ich mit diesem Pathologen von der Uni Zürich telefoniert.«
    »Salvisberg?« Eschenbach hob die Brauen.
    »Ja, genau. Es war ein Unfall, hat der behauptet. Das Herz … Es ist einfach stehengeblieben. Und ich bin geneigt, ihm zu glauben.« Sie sah Eschenbach kurz an.
    »Wussten Sie, dass Ihre Schwester einen implantierten Defibrillator hatte?«, fragte der Kommissar.
    Lara Bischoff nickte. »Und der hat offenbar nicht funktioniert. Ich weiß.« Sie schien nachzudenken. Eschenbach konnte nichterkennen, ob ihr das Sprechen auch körperlich schwerfiel. Sie zischelte leicht, wenn sie sprach, und es sah fast aus, als enge der Verband die Bewegungsfreiheit ihres Kiefers ein.
    »Herzrhythmusstörungen. Charlotte hatte das schon als Kind … Es ist ein Geburtsfehler. Sie durfte sich nicht aufregen, keinen Sport treiben. Als Kind habe ich mich immer gewundert. Erst als ich schon halb erwachsen war, da haben sie’s mir gesagt, weil sie glaubten, ich würde mir dann weniger Sorgen machen. So einen Quatsch! Charlotte lebte auf einem Hochseil, und trotzdem war sie so fröhlich und unbeschwert. Später, als man ihr diesen Defibrillator eingesetzt hatte …« Lara Bischoff stockte einen Moment, bevor sie weitersprach. »Jetzt habe ich ein Auffangnetz, hat sie gesagt. Eine Lebensversicherung … einen Schutzengel mit Elektroden.«
    Der Kellner, der schon eine Weile in diskretem Abstand zum Tisch bereitgestanden hatte, räusperte sich. »Haben die Herrschaften ausgewählt?«
    »Suppe. Kartoffelpüree. Risotto«, murmelte Lara Bischoff, ohne ihren Blick zu heben.
    »Aber sicher, Ma’am. Mr Singh hat mich bereits instruiert.«
    »Dasselbe für mich«, sagte Eschenbach, ohne in die Karte zu schauen. Und als der Kellner zum Essen einen Château Beychevelle (Jahrgang 2000 ) empfahl, betrachtete der Kommissar kurz das Etikett, bevor er nickte. Wieder seinem Gegenüber zugewandt, sah er, wie die graublauen Augen hinter der Maske auf ihm ruhten. Lara Bischoff musste ihn schon eine ganze Weile so angesehen haben. Eschenbach hielt ihrem Blick stand. Er fragte sich, wie ihr Gesicht wohl unter dem Verband aussah. Offenbar fragte sie sich dasselbe bei ihm.
    »Es tut mir leid, dass ich Sie so zugerichtet habe.«
    Eschenbach nickte. Seine Suspendierung, die ihm wesentlich mehr zusetzte, verschwieg er. Diese kühle Frau war ihm ein Rätsel. Er holte tief Luft. »Im Gegensatz zu Ihnen geht es mir gut.«
    Lara Bischoff schwieg.
    Einen Moment dachte Eschenbach darüber nach, ob er sie nach dem Hergang ihres Unfalls fragen sollte. Er entschied sich dagegen. Um dem Schweigen zu entkommen, erzählte er ihr in knappen Sätzen, dass sie den Romancier Ackroyd für den Vortrag bemüht hatten und es reine Spekulation gewesen war, dass sie kommen würde. Ein Köder gewissermaßen. Sonst wäre kein Herankommen an sie gewesen.
    Eschenbach sah Lara Bischoff nicht an, ob sie beeindruckt oder empört war.
    »Woher wussten Sie eigentlich, wo ich bin?«
    »Ein Kunststück.«
    Wieder schwiegen sie. Dann wurde die Suppe serviert.
    »Charlotte … Sie ist nicht meine eigentliche Schwester«, begann sie schließlich zwischen zwei Löffeln Suppe. »Eine Adoption … meine Eltern waren lange kinderlos geblieben. Und irgendwann haben sie sich zu diesem Schritt entschieden. Ich habe die genauen Details nie erfahren.«
    »Haben Sie denn eine Idee, wann das gewesen sein könnte?« Eschenbach dachte an Lenz – an die Mühe, die der Alte bekundet hatte, etwas über die Tote ausfindig zu machen.
    »Charlotte war schon immer da, seit ich denken kann. Sie war acht Jahre älter als ich. Es gibt Fotos von uns … da hält sie mich als Baby in den Armen. Meine Eltern haben Charlotte schon adoptiert, als ich noch nicht geboren war.«
    »Sie ist also acht Jahre älter …«, Eschenbach rechnete nach. »Dann ist Charlotte Jahrgang 1956  … die Adoption fällt also in die Zeit zwischen ’ 56 und ’ 64 .«
    »Sie wissen, wie alt ich

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