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Sechselauten

Sechselauten

Titel: Sechselauten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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alles mit ansehen. Wie seine Mutter zusammengebrochen ist, inmitten all der Leute. Denken Sie, ihm ging es besonders?«
    »Ich kenne den Kleinen nicht. Habe ich das nicht zu Protokoll gegeben?«
    »Natürlich, das haben Sie. Aber stellen Sie sich vor: Der Kleine kennt Sie.« Eschenbach zog einen Zettel aus der Innentasche seines Jacketts, entfaltete ihn und legte die Notiz auf den Tisch. Er las den letzten Abschnitt des Textes vor, den Anna Lohl übersetzt hatte:
    » … und hett ere öppis schüübis gschnifft. D’Mameere hett plötzligg Mooris beharcht und pufft … isch plotz die Mameere. Het danuseret der Muhme … und de Looli.
    Muhme, das ist ein anderes Wort für Tante. Wir haben das geprüft. Und die Tante, das sind doch Sie, Frau Bischoff. Die Muhme, die der Kleine zu Hilfe rufen wollte.« Der Kommissar blickte auf sein regungsloses Gegenüber, und als nichts passierte, wiederholte er den ganzen Text noch einmal. Langsam, Wort für Wort.
    »Hören Sie auf«, zischte Lara Bischoff.
    »Sie kennen Latscho, nicht wahr?«
    Nach einem kurzen Zögern nickte sie.
    Eschenbach entging nicht, dass ihre Hände leicht zitterten. »Es war also eine Lüge, was Sie der Polizei aufgetischt haben.Eine Notlüge, weil Sie etwas zu verbergen haben. Man hat immer einen Grund, wenn man lügt.«
    Lara Bischoff blieb still.
    »Aus Angst vielleicht? Hatten Sie Angst, in die Sache hineingezogen zu werden? Cover your ass  … So nennt man es doch in Ihrem Metier?«
    »Nein«, flüsterte sie. »Nein.« Sie schüttelte den Kopf.
    »Und wer hat diesen Anschlag auf Sie verübt? Das kann doch alles kein Zufall sein?« Eschenbach seufzte leise. »Sehen Sie? Ich glaube nicht, dass es ein Unfall war. Und Sie, Frau Bischoff, Sie glauben es auch nicht.« Gebannt starrte der Kommissar auf das Augenpaar gegenüber.
    Sie zögerte.
    »Was verheimlichen Sie mir?«
    In die kurze spannungsgeladene Stille, die entstanden war, brach die Stimme des Kellners ein. »Ich darf Ihnen doch noch Wein einschenken?«
    Eschenbach schnaufte und wandte sich ab. »Ja, aber gern«, sagte er unfreundlich. Da entdeckte er Mr Singh. Der Sicherheitsoffizier war zurück. Mit ihrem Mantel über dem Arm und in energischem Schritt steuerte er direkt auf die Nische zu.

8
    A m nächsten Morgen reiste Eschenbach nicht ab.
    Es war eine der Entscheidungen, die der Kommissar aus dem Bauch heraus fällte: spontan, in den ersten Sekunden des Erwachens, als die Nacht ihm noch im Kopf hing wie ein dunkler Schatten.
    Etwas stimmte nicht, das war ihm klar. Lara Bischoffs plötzlicher Rückflug nach London und die Notlüge, die Latscho betraf. Ihre Aussagen passten nicht – nicht auf Anhieb. Sie waren wie schlecht genähter Stoff. Und als Lara Bischoff nahe daran gewesen war, die Nähte für ihn aufzutrennen, kam der unfehlbare Mr Singh, und alles fror ein wie bei Dornröschen.
    Später, beim Frühstück, überfielen ihn Zweifel. Was erwartete er, wenn er blieb? Lara Bischoff wurde abgeschirmt wie eine Popikone, er würde kaum mehr eine Chance haben, in ihre Nähe zu kommen.
    Einzig, was die Informationen zur Adoption von Charlotte betraf, so hatte er nun ein paar Anhaltspunkte, die er weiterverfolgen konnte. Es war eine magere Ausbeute.
    Eschenbach blickte sich um. Es saß in einem großen, hellen Raum. Das Frühstücksbuffet stand mittendrin, wie ein gewaltiger Dampfer: Gebratene Würstchen, Spiegeleier und Bohnen schwammen in Fettlachen. Frittiertes Brot gab’s als Alternative zu weißem Toast, dazu hell- und dunkelbraune Soßen neben geräucherten Makrelen und Heringen. Die Titanic englischer Frühstückskost war an den Klippen der Gesundheitsindustrienoch nicht zerschellt. Und Jamie Oliver mit seiner Revolution der englischen Essgewohnheiten noch nicht durchgedrungen. Auch die anderen Gäste griffen beherzt zu.
    Eschenbach bediente sich; nur den Kaffee ließ er stehen. Er versuchte einen Grüntee, bestellte sich zwei gekochte Eier und telefonierte zwischen den Gängen mit Jagmetti.
    Der Junge war immer noch im Heim in Stäfa und wurde nach wie vor bewacht. Wenigstens etwas, dachte der Kommissar. Aber neue Erkenntnisse zum Hergang beim Sechseläuten gab es keine. Der Kleine hatte nicht wieder gesprochen und wirkte nach wie vor verängstigt.
    »Kobler war hier.«
    »Kobler?«
    »Sie wollte sich persönlich versichern, wie es dem Kleinen geht, sagt die Heimleitung. Und sie hat dem Jungen von weitem beim Spielen zugesehen.«
    Sie legten auf. Eschenbach schnaufte.
    Er hätte sich

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