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Sechselauten

Sechselauten

Titel: Sechselauten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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Eschenbach damit, den Bodyguards Namen zu geben. In der abschließenden Bestenliste führten selbstverständlich Dr. Jekyll & Mr Hyde knapp vor Waldorf und Statler , den beiden Alten aus der Muppet Show .
    Vom Café aus gingen sie weiter, und beim Garten von Queen Mary blieb Lara plötzlich stehen.
    »Kannst du dir vorstellen, noch ein paar Tage hierzubleiben?«
    Eschenbach hatte es gespürt: Die Frage hatte schon eine ganze Weile in der Luft gelegen. Und jetzt – als Lara sie endlich aussprach, mit jener krampfhaften Beiläufigkeit, mit der man Dinge sagte, die einem schon viel zu lange im Kopf herumspukten, hatte er nur einen Gedanken: die Akte des Hilfswerks. Lara musste sie finden.
    Um fünf standen sie wieder beim York Gate. »Ich ruf dich wegen heute Abend noch an«, sagte Lara leicht enttäuscht, bevor sie von Dr. Jekyll & Mr Hyde zurück ins Hospital gefahren wurde. Er hatte keine festen Zusagen gemacht. Aber der Anruf kam nicht. Eschenbach wartete bis neun, dann ging er in eines der Pubs in der Nähe des Hotels, aß einen Teller Fish & Chips und trank zwei Dunkle. Er unterhielt sich mit einer Gruppe von Literaturstudenten über die bevorstehenden Wahlen in Amerika und kehrte um halb elf zurück ins Hotel. Auf dem Bett, und mit den Bildern von CNN , die stumm aus der Kiste flimmerten, telefonierte er zwanzig Minuten mit Corina. Kathrin hatte einen Freund, der vier Jahre älter war, und miserable Noten in Englisch und Latein. Corina klang trotzdem froh.
    Nach dem Telefonat konnte Eschenbach nicht einschlafen.
Es war warm im Zimmer und roch nach indischen Gewürzen. Der Kommissar wählte die Nummer von Lenz. Der Alte war eine Eule und um diese Zeit bestimmt noch wach. Wenn Lara ihn nun doch hängenließ oder, besser gesagt, in völlig falschen Bahnen lief – er musste Lenz auf die Sache ansprechen. Vermutlich hatte auch er bereits Neuigkeiten. Das statistische Amt der Schweiz war ein sauberer Laden, der alles ordentlich führte, auch Daten über Adoptionen. Und für Lenz war es ein Kinderspiel, sich die Fakten der Jahre 1956 bis 1964 zu beschaf-
fen.
    Der Alte meldete sich nicht, und als der Kommissar eineViertelstunde später nochmals anrief, war es dasselbe. Kein Lenz und keine Antworten.
    Der Kommissar überlegte. Wenn er nur die Nummer des Geigenbauers gehabt hätte. Dann entschloss er sich, Jagmetti anzurufen. Er erreichte den Bündner auf Anhieb: »Den Lenz, den bringt man doch nur tot aus der Mühle. Da muss etwas passiert sein«, sagte Eschenbach, nachdem Claudio langsam begriff, um was es überhaupt ging.
    Eine halbe Stunde später rief Jagmetti zurück: »Liegt in seinem Bett und schläft … Das alte Lied.« Der Polizist seufzte. »Irgendwann säuft sich der noch zu Tode.«
    »Ich weiß.«
    »Hab’s dem Geigenbauer gesagt«, meinte Claudio. »Schien mir keineswegs überrascht zu sein. Ich glaube, die Leute in der Mühle wissen Bescheid. Sie würden zwischendurch mal nachsehen, wie’s ihm geht, haben sie gemeint.«

9
    A ls Eschenbach am nächsten Morgen aufwachte, schien die Sonne durch die Gardinen und blendete ihn. Er lag noch immer im Bett. Es war Sonntag, kurz vor neun.
    Eschenbach hatte schlecht geträumt. Er hatte den Fall gelöst und wusste nicht mehr, wie und was. Alles hatte sich auf Lateinisch abgespielt. Das Einzige, an das er sich erinnern konnte, war Kobler: Sie stand in einem roten Kleid vor ihm, und ein mickriges kleines Krönchen zierte ihr Haupt: »Ich gratuliere Ihnen, Eschenbach! Respekt! Wer hätte das gedacht?« Einem inneren Zwang folgend, war Eschenbach hingekniet. Und in Erwartung des Ritterschlags hatte er gesehen, wie Kobler beidhändig das Schwert geführt und seinen Kopf mit einem einzigen Streich vom Rest des Körpers getrennt hatte. Eschenbach erinnerte sich, dass er nichts dabei empfunden hatte. Von den roten Schuhen bis zum hageren Antlitz Koblers war sein Blick nach oben gezogen, und weiter über Kobler hinaus bis in einen weißgekachelten Himmel. Dann explodierte der Kopf des Böög.
    Eschenbach griff nach dem Handy auf dem Nachttisch und sah nach, ob Lara angerufen hatte. Weil der Akku leer war, hängte er den Apparat an den Strom. Er ging ins Badezim-
mer. Aus dem Duschkopf kam nur kaltes Wasser, der Kommis-sar hatte Mühe, das Shampoo wieder aus den Haaren zu waschen.
    Eschenbach hatte sich noch nicht ganz abgetrocknet, als das Telefon läutete.
    »Somebody waiting downstairs«, sagte eine weibliche Stimme in Bollywood-Englisch.
    Hastig zwängte

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