Sechselauten
Gurken, Schinken und Spargeln belegte Brote präsentierten sich auf zwei großen Glasplatten. Dazwischen lag liebevoll etwas Petersilie zur Dekoration. »Was wir halt noch hatten«, bemerkte Meret.
Nachdem sie sich an den Tisch gesetzt hatten, sprach Josef Kolegger ein kurzes Gebet. Nach dem »Amen« klatschte Latscho in die Hände. Eschenbachs Frage schien vergessen.
Rosa war froh. Sie schmunzelte, und etwas später, mit einem dicken Salamibrot in den Fingern, begutachtete sie die geflochtenen Tischsets. »Machen Sie die selbst?«
»Das war Josefs Beruf«, sagte Meret Kolegger und tätschelte die Hand ihres Mannes. »Nur, mit seiner Gicht wurde es immer schwieriger halt.«
Der Alte nickte. »Es geht nicht mehr.« Kolegger rieb sich die knorpeligen Finger. »Wissen Sie, es ist eine Wissenschaft. Diese feinen Sachen, also man muss die Weidenruten spalten und das Mark entfernen … und natürlich einweichen vor dem Flechten. Das Einweichen ist das Heikelste.«
»De Peetres het mer’s zinggt wie’s holcht«, schoss Latscho dazwischen. Er riss die geflochtene Unterlage unter seinem Teller hoch. Es schepperte und der fliegende Plastikbecher mit Sirup verfehlte Rosas Weinglas nur knapp. Meret Kolegger nahm esgelassen: »Er ist halt aufgeregt«, sagte sie und behob den Schaden mit Papierservietten und stoischer Ruhe.
»Peetres … dein Papa also«, folgerte Eschenbach.
Der alte Kolegger lachte. »So wie es scheint, bin ich das wohl … für ihn jedenfalls. Mal Papa, mal Opa. Ich kann’s mir aussuchen. Ist ja auch schwierig für den Kleinen. Latscho weiß nicht, wer …«
»Psst!«, kam es energisch von seiner Frau.
»Psst! Psst!«, machte Latscho.
Kolegger rollte die Augen, und als Rosa mit Latscho beschäftigt war, flüsterte er Eschenbach zu: »Wir wissen es ja auch nicht, wer der Vater ist.«
Latscho wollte lange nicht einschlafen. Er richtete sich in seinem Bett immer wieder auf und sah Rosa und Eschenbach erwartungsvoll an. Der Kommissar und seine Sekretärin saßen auf der Bettkante und kamen gerade mit ihrer Gute-Nacht-Geschichte ins Schleudern:
»Wie lang schluunt denn e Krokodill wo grandig gachlet het?«
Eschenbach und Rosa zuckten beinahe gleichzeitig die Schultern.
»Er will wissen, wie lange ein Krokodil schläft«, sagte Meret, die bisher still im Türrahmen gestanden hatte.
»Lange«, sagte Rosa.
»Wie lang?«
»Bis es wieder Hunger hat«, sprang Eschenbach ein und zeigte seine Zähne.
»De Jogg huurt au wieder Buttlagg.«
»Du hast aber die Zähne schon geputzt«, meinte Meret.
»Putze die Krokodill au d’Chracherlig?«
Alle Krokodile am Nil schliefen bereits (und hatten sich die Zähne geputzt), als auch Latscho seine Augen schloss. Endlich.Er tat es zögernd, so als traute er der Dunkelheit seines Schlafes nicht.
Eschenbach stand schon in der Tür, als Meret sich noch zum schlafenden Jungen aufs Bett setzte. Sie küsste den Kleinen auf die Stirn und fuhr ihm ein paarmal durch sein krauses Haar. Es war Routine, Eschenbach sah es ihren Bewegungen an. Hundertfach erprobt. Und trotzdem lag noch immer die tiefe Sorge einer liebenden Mutter in Merets Gesicht.
»Sie haben auch Kinder, nicht wahr?«, sagte Eschenbach auf dem Weg ins Wohnzimmer. Als Meret zögerte, befürchtete Eschenbach, dass sie mit ihrem Mann ins Jenische flüchten würde. Er legte seine Hand sanft auf ihre Schultern und sah ihr in die Augen. »Erzählen Sie mir die Geschichte von Anfang an, bitte. Ihre eigene, die von Latscho … von Charlotte, Sandro und allen anderen. Vertrauen Sie mir. Es ist der einzige Weg, wenn wir Latscho eine Zukunft geben wollen.«
»Eine Zukunft?« Ungläubig und mit wässerigen Augen starrte Meret den Kommissar an. »Wir kennen nicht einmal die Vergangenheit. Da ist es schwierig, an eine Zukunft zu glauben.«
»Das eine lässt sich nicht mehr ändern, das andere liegt jetzt bei Ihnen.« Eschenbach machte eine Pause, dann sagte er: »Es wurde entschieden, dass Latscho nun bei Ihnen bleibt.«
Meret musterte den Kommissar misstrauisch: »Latscho ist nicht unser Kind, Sie wissen das. Wir haben keine Rechte … man kann ihn uns jederzeit wieder wegnehmen. Sandro hat gesagt, wir müssen schweigen. Und Sie, wie soll ich Ihnen vertrauen, nach dem, was letztes Mal passiert ist?« Merets Blick wich Eschenbach aus, aber der Kommissar ließ es nicht zu. Mit einem Schritt zur Seite fing er ihn wieder ein, sah in die hellblauen, flackernden Augen: »Ich habe auch ein Kind«, sagte er. »Es ist
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