Sechselauten
ein Scheißland ist das hier?«
Als die Ampel wieder auf Rot wechselte, fuhr Rosa los. »Schämen Sie sich denn nicht?!«, schrie sie mitten im Blitzlichtgewitter der Blechpolizisten. »Und nichts gesagt haben sie … Die Kleine hat nicht einmal gewusst, was man ihr angetan hatte. Eine Katastrophe … nein, eine Schande ist das.«
Eschenbach drückte mit seinem Gipsfuß dorthin, wo keine Bremsen waren.
In Zickzacklinien steuerte Rosa den Wagen über den Bahnhofplatz, gleichzeitig suchte sie in der Handtasche ihren Pass. Sie wolle ihn zurückgeben, gleich jetzt. Sofort. Diesen Puta-Madre-Schweizer-Scheißpass!
Eine halbe Stunde später saßen sie am Tisch in Eschenbachs Küche. Es war kurz nach Mitternacht. Der Kommissar ärgerte sich über die Putzmannschaft, die den Tag über bei ihm zu Hause gewesen war. Sie hatten die vollen Müllsäcke einfach in den Wohnungsflur gestellt, die Deppen!
Rosa war wieder bei Trost, noch immer aufgewühlt zwar, aber gefasst. Der Kommissar hatte die Espressomaschine angeworfen und zwei rabenschwarze Ristretti in kleine Tässchentröpfeln lassen. Nun schob er Rosa das rote Büchlein mit dem Schweizerkreuz zu. Er hatte es ihr im Auto aus der Hand gerissen, gerade noch bevor sie es zum Fenster hinauswerfen konnte. »Ihr Puta-Madre-Dings«, sagte er.
Rosa biss sich auf die Unterlippe, leerte das Mokkatässchen mit einem Schluck und meinte: »Trotzdem grauenhaft.«
Eschenbach holte eine Handvoll dicker Filzstifte, und weil er keine dieser weißen Tafeln hatte, für die die Stifte gedacht waren, benutzte er den Kühlschrank. »Ich mal das jetzt mal hier auf. Charlotte ist die Tochter von Meret Kolegger und Alexander Kronenberger. Ein Mischling also. Schrapp nennt man die, hat Meret gesagt.« Er notierte die Namen und verband sie wie in einem Stammbaum durch Linien. Dann setzte er SCHRAPP in Klammern unter Charlottes Namen, wie auch den Jahrgang 1956 . »Charlotte hat eine Schwester, Saba«, fuhr er fort. »Da wissen die Koleggers nichts. Eine, die nicht zurückgekommen ist. Das gibt es auch, haben sie gesagt.« Und wie der Kommissar es auf den Kühlschrank kritzelte, erinnerte er sich an das Foto, das er im Keller bei Goldmann Investments gesehen hatte. »Zwei Mädchen, Charlotte und Saba«, murmelte er nochmals.
Der Kommissar malte Kästchen um die Namen und ein Fragezeichen hinter Saba.
»Und dann ist Charlotte adoptiert worden«, sagte Rosa. Sie war nun aufgestanden und nahm sich ebenfalls einen Stift. Einen roten. »Von diesen Bischoffs. Vermutlich hat man die Kinder auseinandergerissen. So wie man alles auseinandergerissen hat.«
»Und dann ist da Latscho. Und der Vater von Latscho, der fehlt uns auch noch«, sagte Eschenbach.
Rosa malte ebenfalls ein Kästchen, setzte ein Fragezeichen hinein und verband es mit Latscho und Charlotte. »Ist Ihnen aufgefallen, dass mit dem Kind etwas nicht stimmt?«, fragte Rosa.
Der Kommissar nickte. »Er scheint etwas zurückgeblieben für sein Alter, das ist wahr. Andererseits ist er hellwach. Manchmal habe ich das Gefühl, er liest meine Gedanken, hört das Graswachsen, der Kleine. So blöd ist der nämlich gar nicht.« Eschenbach zog aus der Gesäßtasche seiner Jeans die Karte, die ihm die Frau in Wädenswil mitgegeben hatte, und entfaltete sie. »Den Mulo gibt’s übrigens wirklich«, meinte der Kommissar. Er las Rosa den Text vor.
»Vater … Also in diesem Fall kennen Kronenberger und Charlotte unseren ominösen Mulo.« Rosa schrieb MULO auf den Kühlschrank.
Eschenbach malte ein Kästchen drum und verband es mit Strichen zu Vater und Tochter. Seufzend sah er auf den Filzstift.
»Fragen wir doch einfach diesen Kronenberger«, sagte Rosa und deutete auf den Kühlschrank. »Die ganzen Striche, die laufen alle zu ihm.«
»Das ist Quatsch, Frau Mazzoleni.« Eschenbach sah seine Sekretärin an wie ein Kind, das man vor einer Dummheit bewahren muss. »Kronenberger ist auf der Hut, da brauchen wir uns nichts vorzumachen. Der hat seine Hände überall drin.«
Rosa rümpfte die Nase. »Aber es ist doch offensichtlich, dass Charlotte und die Koleggers den erpresst haben.«
»Richtig«, grummelte der Kommissar. »Und wer sägt schon den Ast ab, auf dem er sitzt. Die Koleggers werden am Ende alles leugnen, und wir stehen da wie die Deppen.«
»Die Akte müssten wir haben«, sagte Rosa nachdenklich. »Irgendetwas Kompromittierendes gegen diesen Anwalt. Das würde helfen.«
Unruhig ging der Kommissar ins Wohnzimmer, griff in die
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