Sechselauten
Bibliothek zwischen die Bücher; ging zur Zeitungsablage neben der Couch.
»Suchen Sie etwas?«, rief Rosa.
Eschenbach kam zurück. Er zog die Schubladen in der Küche auf und fand schließlich im Besenschrank, wonach er gesucht hatte. Sie lagen neben den Staubsaugerbeuteln. »Meine Brissagos«, sagte er. »Ist nicht gesund, haben die im Spital gesagt … so ein dummes Zeug.«
»Tödlich«, sagte Rosa. »Das steht auch auf den Schachteln.«
Er ließ sich von Rosa Feuer geben. »Aber jetzt merke ich, dass ich diese losen Enden ohne nicht zusammenkrieg.«
Rosa öffnete einen Spaltbreit das Küchenfenster. »Wir müssten etwas über diese Saba in Erfahrung bringen. Saba, was für ein Name ist das eigentlich?«
»Einer von sechshundert halt.« Eschenbach sog an seiner Brissago.
»Die Pro Juventute muss doch Buch geführt haben über diese ganzen Kinder, woher die kamen und wohin man sie gebracht hat.«
»Eben.« Der Kommissar seufzte. »Sie haben’s ja selbst gehört. Meret Kolegger weiß bis heute nicht, was mit ihrem zweiten Mädchen geschehen ist. Sie hatte die Akte mehrmals angefordert. Nichts ist geschehen.«
»Aber das ist doch Wahnsinn«, sagte Rosa.
»Ja, Wahnsinn.« Eschenbach qualmte den Rauch unter die Decke. »Stellen Sie sich einmal vor, Frau Mazzoleni, Sie hätten all die Namen beisammen: die Väter und Mütter, Mündel und Adoptiveltern. Wohin die alle verbracht worden sind. Was die heute tun … jede einzelne Biographie.«
»Vielleicht ist eines der Kinder später Bundesrat geworden«, sagte Rosa und lachte.
Eschenbach nahm Rosas Gelächter nur gedämpft wahr. Er sah seine Sekretärin an. Das Unvorstellbare, das sie gerade formuliert hatte … Wer sagte, dass es ein Witz war?
»Sie denken doch nicht wirklich …« Rosa hörte mit dem Lachen auf.
»Es ist mir soeben klargeworden, wie brisant diese Angelegenheit ist«, sagte Eschenbach. »Wer immer diese Akte besitzt, er könnte eine Menge Leute damit in Schwierigkeiten bringen.«
Nachdem er um halb zwei ein Taxi bestellt hatte und Rosa nach Hause gefahren war, dachte Eschenbach noch eine Weilenach. Wenn er Lara richtig verstanden hatte, so war Charlotte kurz nach dem Tod der Bischoffs untergetaucht. Auf Elternsuche, sozusagen. Das passte zu dem, was auch die Koleggers erzählt hatten. Angenommen, Charlotte hatte die Akte aus dem Nachlass ihres Adoptivvaters erhalten und erpresste damit Kronenberger, dann hatte der Anwalt tatsächlich ein Motiv. Kein schlechtes, wie Eschenbach fand.
Der Kommissar öffnete die Tür, die von der Küche auf die Terrasse führte, und ging hinaus.
Es war eine klare, mondlose Nacht. Am Himmel suchte Eschenbach den Gürtel des Orion; aber jetzt, mit dem Anbruch des Sommerhalbjahrs hatte sich das Sternbild davongeschlichen. Leise, ohne Böögenknall und Getrommel. So wie sich die Akte des Hilfswerks davongestohlen hatte und eines schönen Tags auch nicht mehr da gewesen war. Einfach so, weg und verschwunden.
Als Eschenbach zurück in die Küche kam, schrieb er einen weiteren Namen auf den Kühlschrank: LENZ . Er hatte ihn Rosa bewusst vorenthalten. Weshalb genau, verstand der Kommissar selbst nicht. Er wollte zuerst mit dem Alten darüber reden. Wenn einer wusste, worum es bei der ganzen Geschichte ging, dann war es sein Exkollege und Freund. So wie es schien, hatte er die Akte schließlich zusammengetragen.
5
P aresh hatte einen der »Privacy Rooms« reserviert, die an den großen Raum der Klinikkantine angrenzten.
Es war ein kleiner, quadratischer Raum. In der Mitte stand ein Tisch mit zwei aus hellem, sandfarbenem Stoff bezogenen Stühlen. Die farbliche Note gaben ein melonenfarbenes Tischtuch und große Bilder von Blumen an der Wand. Das Geschirr stammte von Villeroy & Boch, ebenfalls mit Blumenmuster, und die gestärkten Stoffservietten fühlten sich an wie gefalteter Karton. Die Klinikleitung des Princess Grace war stolz, ihren exklusiven Gästen (die eigentlich Patienten waren) private Diners zu ermöglichen. Zu einem horrenden Preis, wie sich von selbst verstand.
Nach dem Entree (einer Hummercreme-Suppe) legte Lara den Löffel beiseite und begann ihren Hungerstreik: »Ich esse nichts mehr«, sagte sie. »Nicht bevor du mir erzählst, was du von der ganzen Sache weißt.«
»Nicht viel«, wich ihr Paresh aus.
Lara stand auf. »Dann geh ich nach oben und hör mir weiter die Kassetten an. So hat das keinen Sinn. Ich verplempere nur meine Zeit in diesem … diesem Gefängnis hier.«
»Warte.«
Um
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