Second Face
oder ein wenig spitzer oder …? Es sind nur Nuancen, vielleicht hat er sich einfach nur eine neue Haut gekauft mit einer besseren Auflösung.
Oder es liegt an ihr? Sieht sie ihn auf einmal anders, weil sie gemerkt hat, wie wichtig er ihr geworden ist?
Zum Glück erwähnt Tarao das Missverständnis vom Vortag mit keinem Wort. Er ist wie immer freundlich, erfüllt ihr jeden Wunsch und bemüht sich, ihr das Leben in SL so abwechslungsreich wie möglich zu machen.
Jeden Tag scheint er sich äußerlich ein wenig mehr zu verändern. Aber es geht so langsam, dass sie es nicht benennen kann.
Er wird ihr immer vertrauter. Noch nie zuvor hat ein anderer Mensch sich so sehr für sie und ihre Meinung interessiert. Es war immer Anne, die im Mittelpunkt stand, Annes Meinung, die von allen wahrgenommen wurde, weil Anne in allem lauter war.
Marie freut sich schon am Morgen auf die Gespräche mit Tarao. Er möchte alles von ihr wissen, jedes Detail ihres Lebens ist ihm wichtig. Mit ihm kann sie vor allem auch den Ärger mit Anne teilen. Er kennt sie bald besser als ihre Eltern und die Schwester, weil er ihr zuhört.
In den nächsten Tagen zeigt Tarao Arabella seine Lieblingsorte in SL. Es sind immer einsame Buchten mit Wasserfällen, kleine Inseln mit Palmen. Überall liegen bunte Handtücher herum und überall finden sich auch die roten und blauen Kugeln.
Aber Arabella macht einen großen Bogen darum. Sie weiß längst, dass es auch Animationsbälle gibt, die auf Klick Bewegungen auslösen wie Händchenhalten, Kuscheln, ja sogarKüssen und wer weiß noch was. Es reicht ihr, am Strand zu sitzen, neben ihr Tarao.
Ihm aber reicht es nicht. Und so überredet er Arabella, ihm wenigstens ab und zu einen Kuss zu gestatten.
Es ist ein unbeschreiblich merkwürdiges Gefühl, wenn Tarao Arabella mit gespitzten Lippen küsst. Es passiert alles über die Finger, die die entsprechenden Tasten drücken, denkt Marie. Und doch läuft jedes Mal ein kleiner Schauer über ihren Rücken. Und wenn sie dann noch die Augen schließt und sich vorstellt, in diesem Moment wären es Lirims Lippen …
Längst benutzt Marie auch das Headset, die Stimmen der anderen Avatare sind ihr vertraut, die von Tarao war es auf eine seltsame Weise vom ersten gesprochenen Wort an.
Dann kommt der Tag, als Marie sich einloggt und auf Lirim trifft. Marie ist so geschockt, dass sie aufspringt und ungläubig auf den Bildschirm starrt.
»Hallo, Arabella! Ich habe schon auf dich gewartet.«
Es ist die Stimme von Tarao in einem Avatar, der aussieht wie Lirim.
Maries Mund ist ganz trocken. Sie kneift die Augen fest zu, öffnet sie vorsichtig wieder und blinzelt.
»Arabella! Bist du noch da?«
Maries Stimme zittert: » Wer … wer bist du?«
Taraos Stimme lacht. »Ich bin ich. Immer noch derselbe wie gestern. Habe mich nur äußerlich verändert. Gefällt es dir?«
Marie weiß nicht, was sie sagen soll. Sie zoomt sich mit der Kamera näher an Tarao-Lirim heran. Er sieht ihm so ähnlich. Die Augen, selbst die Augenbrauen, der Mund, die gleiche braune Haut.
»Was ... was hast du gemacht?«
Sie hört Taraos leises Lachen. »Gefällt es dir? Wenn nicht, kann ich es rückgängig machen.«
»Nein! Bitte nicht! Es gefällt mir ... Es ist … es ist nur …«
Tarao-Lirim nimmt Arabellas Hand. »Pssst! Sag es nicht! Lass uns einfach in unsere Bucht fliegen.«
Maries Finger zittern, als sie die Koordinaten eintippt und sich zu der kleinen Bucht teleportiert.
Am Strand grasen zwei Pferde. »Darf ich vorstellen: Svantevit«, sagt Tarao-Lirim lächelnd.
»Und deiner?« Arabella zeigt auf den schwarzen Rappen.
Tarao zuckt mit den Schultern. »Gib du ihm einen Namen.«
»Triglaw!«, ruft Arabella. Ein anderer Name kommt für sie nicht infrage.
»Heißt
sein
Pferd so?«
Arabella wird verlegen. Sie nickt. »Schlimm? Möchtest du einen anderen Namen?«
Er schüttelt den Kopf. »Nein, wenn er dir gefällt, dann gefällt er mir auch.«
»Können die Pferde fliegen?«
»Nein, bis jetzt nicht, aber ich habe einen Freund, den könnten wir heute Abend einladen. Der entwirft Computerprogramme. Vielleicht kann er das machen.«
»Mariiie!« Damit fliegt die Tür zu Maries Zimmer auf, Anne stürmt herein. »Hast du vergessen, dass wir noch mit den Pferden losmüssen? Wir … Was machst du denn da?« Sie schaut auf den Bildschirm. »Was sind denn das für Figuren?« Neugierig beugt sie sich ganz dicht zum Bildschirm hinunter. »Und sieh mal … der sieht aus wie Lirim. Marie, was
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