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Second Face

Second Face

Titel: Second Face Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolin Philipps
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Anne ist empört. »Was bildet der sich eigentlich ein?« Sie zeigt ihm den Stinkefinger. »Lass deine dreckigen Pfoten von meiner Schwester. Die steht nicht auf solche Typen.«
    Tom lacht laut. »Du hast ja keine Ahnung.«
    Marie ist das Ganze nur peinlich. Sie hat Angst, dass Tom sie verrät, aber der hält den Mund. Zumindest im Bus.
    Mitten im Unterricht klingelt ihr Handy. Mit hochrotem Kopf beugt sie sich zu ihrer Tasche hinunter.
    »Marie, noch ein Mal, und dann kassiere ich dein Handy ein! Im Unterricht sind Handys auszuschalten!« Herr Osten droht ihr mit dem Finger.
    Eine SMS von Tom. »Keine Sorge. Ich schweige wie ein Grab. SL ist unser kleines Geheimnis. Die Drama-Queen muss ja nicht alles wissen.«
    »Wer war das denn?«, flüstert Anne.
    Marie zuckt mit den Schultern. »Falsche Nummer.«
    In der Pause wartet Tom auf sie: »Na, wie war’s gestern? Hast du Klamotten gefunden? Und eine neue Haut?«
    Marie erzählt ihm ausführlich, wie sie Arabella verschönert hat. Von Tarao erzählt sie nichts. Sie schämt sich ein wenig, weil er ihre Kleidung bezahlt hat.
    Tom pfeift durch die Zähne. »Na, da hast du aber ’ne Menge Linden-Dollars ausgegeben. Hast du die Kreditkarte deiner Eltern geplündert?« Er lacht und Marie lacht mit. Zum Glück stellt er keine weiteren Fragen.
    Marie gähnt. »Ich habe die Zeit vergessen und die halbe Nacht durchgemacht.«
    »Kenn ich. Typischer Newbiefehler. Du musst dir ein Zeitlimit setzen«, sagt Tom. »Sonst vergisst du die Zeit. Ich bin seit zwei Jahren in SL, glaubst du, ich würde jetzt mein Abi im ersten Leben machen, wenn ich mein zweites Leben ohne Limit leben würde? Das geht nur am Wochenende, weil ich viele Freunde in den USA habe, und da ist Tag, wenn wir schlafen.«
    »Gibt es auch Pferde in SL?«
    Tom lacht. »Klar. Du hast es doch gelesen. SL ist grenzenlos!! Du schnappst dir ein Pferd, steigst auf und reitest los. Du musst ja nicht gleich ein eigenes Pferd kaufen. Es gibt sogenannte Demopferde, auf denen du erst einmal ausprobieren kannst, ob du überhaupt Spaß am Reiten hast. Das kostet entweder gar nichts oder nur einen ganz kleinen Betrag.Wenn du dann den Wunsch hast, ein eigenes Pferd zu besitzen, dann schlag zu. Mit einem Kaufpreis von 500 bis 1000 Linden-Dollar bist du dabei. Oder du findest einen reichen Avatar und lässt dir ein Pferd schenken.«
    Marie bekommt einen roten Kopf und ist froh, dass es zum Ende der Pause klingelt.

16
    Maries Leben zerfällt von nun an in zwei Teile. Am Tag ist sie die Marie, die alle kennen: still, rücksichtsvoll, freundlich. Die Eltern sind froh, dass Anne sich nach ihrer Racheaktion nicht mehr ganz so schrill kleidet und schminkt und offenbar die Trennung von Kai überwunden hat. Dass Marie immer öfter mit ihren Gedanken ganz woanders ist, fällt niemandem auf.
    Jeden Abend, oft bis weit nach Mitternacht verwandelt Marie sich in Arabella, die Dancing Queen der Beachbar. Anfangs war es sehr ungewohnt, so halb bekleidet in einer mit Avataren voll besetzten Bar zu tanzen, denn hinter jedem Avatar steckt ja ein realer Mensch, der am Bildschirm sitzt und sich ihre Verrenkungen ansieht. Aber von Tag zu Tag macht es ihr weniger aus. Ihre Tanzeinlagen werden schon nach wenigen Tagen zum Event, zu dem die Avatare von allen Richtungen angeflogen kommen.
    Tarao, der sein Geld im SL mit dem Erstellen von Werbeplakaten verdient, hat überall dort, wo sich viele Avatare treffen, Plakate mit dem Bild von Arabella, der Dancing Queen des Second Life, gepostet. Er handelt mit dem Barbesitzer ein gutes Honorar für Arabella aus, auch die Trinkgelder, die ihr großzügig zugesteckt werden, darf sie behalten. Manchmal müssen Avatare abgewiesen und auf den nächsten Tag vertröstet werden, weil die Bar bis auf den letzten Platz besetzt ist.
    Längst hat Arabella ihre Schulden bei Tarao abbezahlt und kann sich die teuersten Klamotten selber kaufen. Jeden Tag ein anderes Tanzkleid, jeden Tag passend dazu andersfarbigeSchuhe, die selbstverständlich alle den Sexy Walk eingebaut haben. Das Pfeifen der männlichen Barbesucher ist ihr dadurch schon sicher, noch bevor die Musik zu ihrem ersten Tanz einsetzt.
    Nach dem Auftritt ist sie von männlichen Avataren umschwärmt. Neben jeder Menge Komplimente und diversen Heiratsanträgen bekommt Arabella auch Angebote, die Marie im wirklichen Leben hätten rot werden lassen. Aber als Arabella genießt sie diese Aufmerksamkeit.
    Ein echtes Problem wird Tarao, der zunehmend eifersüchtig reagiert.

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