Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus (German Edition)
Kremlfluren wurde über Achromejew geflüstert: »Er hat aufs falsche Pferd gesetzt.« Die Beamten liefen zu Jelzin über … (Er fragt zurück:) Die Ehre? Seien Sie nicht naiv … Normale Menschen kommen aus der Mode … Ein Nachruf erschien im amerikanischen Time Magazine . Verfasst vom amerikanischen Admiral William Crowe, der unter Präsident Reagan Vorsitzender der Vereinigten Stabschefs der USA war (das entspricht unserem Generalstabschef). Die beiden hatten sich mehrfach bei Verhandlungen über militärische Fragen getroffen. Crowe achtete Achromejew für seinen Glauben, auch wenn dieser ihm fremd war. Der Gegner hat sich verneigt … (Pause.)
Nur ein sowjetischer Mensch kann einen sowjetischen Menschen verstehen. Einem anderen hätte ich das nicht erzählt …
Aus dem Leben nach dem Leben
»Am ersten September wurde auf dem Trojekurow-Sonderfriedhof für hochgestellte Persönlichkeiten in Moskau (einer Filiale des Nowodewitschje-Friedhofs) der Marschall der Sowjetunion S.F. Achromejew beigesetzt.
In der Nacht vom 1. auf den 2. September öffneten Unbekannte das Grab Achromejews und das Nachbargrab des eine Woche zuvor beerdigten Generaloberst Srednew. Die Ermittler vermuten, dass Srednews Grab zuerst geöffnet wurde, wahrscheinlich irrtümlich … Die Grabschänder stahlen Achromejews Marschallsuniform mit den goldenen Epauletten … und die Marschallsmütze, die nach militärischer Tradition auf den Sarg genagelt war. Außerdem zahlreiche Orden und Medaillen.
Die Ermittler sind sich sicher, dass Achromejews Grab nicht aus politischen, sondern aus rein materiellen Motiven geschändet wurde. Uniformen hoher Militärs sind bei Antiquitätenhändlern sehr gefragt. Eine Marschallsuniform findet vermutlich reißenden Absatz …«
Zeitung Kommersant , 9. September 1991
Aus Interviews auf dem Roten Platz
(Dezember 1997)
»Ich bin Konstrukteur …
Bis zum August 1991 haben wir in einem Land gelebt, nach dem August in einem anderen. Bis zum August hieß mein Land UdSSR …
Wer ich bin? Ich bin einer von den Idioten, die Jelzin verteidigt haben. Ich habe vor dem Weißen Haus gestanden und war bereit, mich vor einen Panzer zu werfen. Die Menschen sind einem Impuls gefolgt und auf die Straße gegangen. Sie waren bereit zu sterben, aber für die Freiheit, nicht für den Kapitalismus. Ich fühle mich betrogen. Ich möchte den Kapitalismus nicht, zu dem man uns geführt hat … den man uns untergeschoben hat … in keiner Form – weder in der amerikanischen noch in der schwedischen. Nicht wegen der ›Kohle‹ von irgendwem habe ich die Revolution gemacht. Wir haben ›Russland!‹ gerufen, dabei hätten wir › UdSSR !‹ rufen müssen. Ich bedaure, dass man uns damals nicht mit Wasserwerfern auseinandergejagt und nicht ein paar Maschinengewehre auf den Platz gerollt hat … Man hätte zwei-, dreihundert Leute verhaften sollen, die übrigen hätten sich in ihre Ecken verzogen. (Pause.) Wo sind heute die Leute, die uns auf den Platz gerufen haben – ›Nieder mit der Kreml-Mafia!‹ ›Morgen herrscht Freiheit!‹ Die haben uns heute nichts mehr zu sagen. Sie sind in den Westen abgehauen und schimpfen jetzt dort auf den Sozialismus. Sitzen in Labors in Chicago … Und wir … sind hier …
Russland … Sie haben sich die Füße daran abgeputzt. Jeder kann ihm eins in die Fresse hauen. Sie haben es zu einer westlichen Müllkippe für gebrauchte Klamotten und überlagerte Medikamente gemacht. Für Gerümpel! (Er flucht.) Zu einem Rohstoffanhängsel, einem Gashahn … Die Sowjetmacht? Sie war nicht ideal, aber sie war besser als das, was wir jetzt haben. Würdiger. Überhaupt war ich mit dem Sozialismus zufrieden: Es gab weder übermäßig Reiche noch ganz Arme … keine Obdachlosen und Straßenkinder … Die Alten konnten von ihrer Rente leben, sie haben nicht auf der Straße Flaschen gesammelt. Oder Essensreste. Sie haben nicht mit ausgestreckter Hand dagestanden … Wer mehr Menschen getötet hat – Stalin oder die Perestroika –, das muss man erst mal nachrechnen. (Pause.) Unser früheres Leben wurde komplett niedergerissen, da ist kein Stein auf dem anderen geblieben. Bald kann ich mit meinem Sohn nicht mehr reden. ›Papa, Pawlik Morosow war ein skrupelloser Typ und Marat Kasej 11 ein Spinner‹, sagt mein Sohn, wenn er aus der Schule kommt. ›Und du hast mir erzählt …‹ Ich habe ihm das erzählt, was ich selbst gelernt habe. Das Richtige. ›Die schreckliche sowjetische Erziehung …‹ Aber
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