See der Schatten - Kriminalroman (German Edition)
sie schließlich wahrheitsgemäß. »Ich hatte überlegt hinzugehen, Tess zuliebe. Aber irgendwie konnte ich mich dann doch nicht überwinden.«
Wendy nickte verständnisvoll. »Für Tess tut es mir natürlich leid. Nach dem, was sie alles durchmachen musste, ist es schrecklich, dass sie jetzt auch noch so früh ihre Tante verloren hat.« Dann veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. Mit einem Mal blitzten ihre Augen eiskalt auf. »Aber ich kann nicht behaupten, dass ich besonders um Ellen trauere. Ich werde ihr niemals verzeihen können, dass sie einen Mörder großgezogen hat. Jared hat mir mein einziges Kind genommen. Joanna war das Wichtigste in meinem Leben, ohne sie ist alles irgendwie sinnlos, verstehst du?«
Unwillkürlich spürte Kate den Drang zu widersprechen, zwang sich aber im letzten Moment dazu, den Mund zu halten. Stattdessen ließ sie Wendy einfach weiterreden.
»Naja, zumindest hoffe ich, dass unser Leben jetzt wieder etwas ruhiger wird. Ellen hat ja alle in Shadow Lake gegeneinander aufgehetzt.« Wendy bemühte sich zu lächeln, es wurde aber eher eine Grimasse daraus. »Sie konnte einfach keine Ruhe geben. Aber damit ist jetzt glücklicherweise Schluss.«
Kate schluckte. Inzwischen fühlte sie sich äußerst unwohl und wollte nur noch raus aus dem Laden. Demonstrativ sah sie auf ihre Armbanduhr. »Oh, ich habe ja gar nicht gemerkt, wie spät es schon ist. Tut mir leid, Wendy, ich muss los. Ich habe noch einen wichtigen Termin«, log sie. Sie schnappte sich die Papiertüte, in die sie ihre Einkäufe gepackt hatte, und verließ ohne weitere Erklärung den Laden. Während die Tür hinter ihr zufiel, spürte sie noch Wendys Blicke in ihrem Rücken.
9. Kapitel
Zur gleichen Zeit brütete Tess über den Polizeiakten aus Ellens Schreibtisch. Obwohl ihr schon der Kopf schwirrte von den ganzen Informationen, gönnte sie sich keine längere Pause. Zwischendurch ging sie in die Küche, um sich einen Kaffee zu machen, setzte sich dann aber sofort wieder an den Schreibtisch und las weiter.
Sie hatte schon festgestellt, dass ihre Tante in einem Punkt auf jeden Fall falsch gelegen hatte: Ellen hatte sich immer darüber beschwert, dass der Sheriff kaum etwas unternommen und sich bei seinen Ermittlungen nur auf Jared als Täter fokussiert hatte. Aber das stimmte nicht. Fast jeder Einwohner von Shadow Lake war befragt worden. Der Sheriff und seine Leute hatten von jedem in Shadow Lake, der engeren Kontakt mit Joanna gehabt hatte, festgehalten, wo er sich an diesem Abend aufgehalten hatte und wer das bezeugen konnte. Interessant war für Tess zu lesen, dass man sie selbst von vornherein als Täterin ausgeschlossen hatte, da keine Blutspuren an ihr oder ihrer Kleidung gefunden worden waren.
Außerdem war das gesamte Gelände um den See mehrfach abgesucht worden. Sogar Taucher hatte man in den See geschickt, um nach hineingeworfenen Gegenständen oder auch nach Jareds Leiche zu suchen. Immerhin hatte Ellen darauf beharrt, dass Jared nicht der Täter sein konnte, sondern ebenfalls getötet worden sein musste. Ihrer Theorie nach hatte jemand ihren Sohn und Joanna erstochen. Während der Täter Jareds Leiche beseitigt hatte, war Tess zum See zurückgekehrt und hatte Joanna gefunden. Daraufhin war der Täter geflüchtet.
Tess schüttelte den Kopf, als sie daran dachte, mit welcher Vehemenz Ellen ihre Vermutungen immer wieder verteidigt hatte. Die Theorie war nach und nach zur fixen Idee geworden. Obwohl es keinerlei Hinweise darauf gab, dass alles wirklich so passiert sein könnte, hatte sie jeden damit vor den Kopf gestoßen. Auch Tess`Argumente, dass man in diesem Fall doch zumindest Blutspuren oder eine Schleifspur hätte finden müssen, waren an ihrer Tante wirkungslos abgeprallt.
Mit der Zeit waren Ellens Spekulationen immer abstruser geworden. Sie hatte beinahe jeden in Shadow Lake verdächtigt, den Mord begangen zu haben. Am Anfang hatten die meisten Leute noch Verständnis für sie aufgebracht, aber im Lauf der Zeit hatte sich Ellen mit allen zerstritten. Dabei war sie so verbohrt gewesen, dass sie nicht einmal gemerkt hatte, wie sehr auch Tess unter der Situation gelitten hatte.
»In dieser Zeit hast du mir das Leben wirklich zur Hölle gemacht«, seufzte Tess, während sie ihre brennenden Augen rieb. Sie konnte sich noch gut an die Erleichterung erinnern, die sie empfunden hatte, als sie Shadow Lake endlich verlassen konnte, um an der San Francisco State University zu studieren. Niemals würde sie an
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