See der Schatten - Kriminalroman (German Edition)
dass zu Ellen Hennesseys Beerdigung niemand aus Shadow Lake erschienen war. Diese Nachricht hatte ihr einen heftigen Stich versetzt. Sie hatte die Tante ihrer Freundin immer sehr gern gehabt.
Sicher, Ellen hatte sich in den letzten Jahren nicht gerade beliebt gemacht im Ort, aber das hatte sie nicht verdient. Vor allem tat ihr Tess leid. Wie trostlos musste es für sie gewesen sein, allein an Ellens Grab zu stehen!
Das Klingeln des Telefons riss sie aus ihren Gedanken. Mit einem kurzen Blick auf das Display stellte sie fest, dass der Anruf aus der Zentrale in Portland kam. Sie beschloss, das Klingeln zu ignorieren. Der Anrufer würde sicher glauben, dass sie mit einem Kunden beschäftigt war. Sollte er sich doch später noch einmal melden. Sie konnte sich jetzt ohnehin nicht auf die Arbeit konzentrieren. Zum Glück war es an diesem Tag extrem ruhig. Wenn sie jetzt einen Kunden zu einer Geldanlage oder einem Kredit hätte beraten sollen, wäre dabei mit Sicherheit nur Unsinn herausgekommen.
Wieder blickte Kate hinüber zum Gebäude der Gazette, aber noch immer rührte sich dort nichts. Sie biss sich nervös auf die Unterlippe. Hoffentlich kam Tess nicht auf die Idee, Ellens Nachforschungen fortzusetzen. Es hatte sich jetzt doch endlich alles ein wenig beruhigt.
Wehmütig dachte Kate an früher, an die Zeit vor dem schrecklichen Mord an Joanna. Sie konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, wie sie Tess kennengelernt hatte. Sie wusste, dass sie zusammen in den Kindergarten gegangen waren und auch ihre gesamte Schulzeit gemeinsam verbracht hatten, da sie beinahe gleich alt waren. All die Jahre hatten sie sich so gut verstanden. Kleine Streitigkeiten waren immer schnell beigelegt und sie waren immer und überall füreinander da gewesen.
Außer an diesem einen Abend , dachte Kate verbittert. Eigentlich hatte sie sich am Tag des Mordes ebenfalls mit Jared, Tess und Joanna treffen wollen, aber dann hatte ihre Mutter ihr angeboten, zusammen mit ihr nach Medford ins Kino zu gehen. So etwas war ziemlich selten vorgekommen, deshalb hatte sie begeistert zugesagt – und das schon unzählige Male bereut. Wäre sie an jenem verhängnisvollen Abend bei den anderen gewesen, wäre das alles vielleicht gar nicht passiert. Mit Sicherheit wären Tess und sie dann immer noch gute Freundinnen, vielleicht wären sie sogar beide in Shadow Lake geblieben – oder gemeinsam fortgegangen.
Nach Joannas Tod hatten sie beide versucht, ihre Freundschaft ganz normal weiterzuführen, aber sie hatten sehr schnell gemerkt, dass es nicht funktionierte. Vor allem Kate fühlte sich in Tess` Gegenwart zunehmend unwohl. Nach und nach hatte sie deswegen die gemeinsame Zeit mit ihr immer weiter eingeschränkt. Mit Ausreden, die sogar in ihren Ohren fadenscheinig geklungen hatten, hatte sie fast jedes Treffen abgesagt oder immer wieder verschoben.
Dann war Tess nach San Francisco gegangen. Zuerst hatten die beiden noch gelegentlich miteinander telefoniert und Kate hatte unverfängliche Neuigkeiten aus Shadow Lake berichtet. Aber die Telefonate waren immer seltener geworden und irgendwann war der Kontakt ganz abgebrochen.
Auch wenn Kate ihre ehemals beste Freundin häufig sehr vermisste, war es so für sie doch wesentlich einfacher.
Erschreckt zuckte sie zusammen, als sich auf der anderen Straßenseite etwas bewegte. Es war Tess, die das Zeitungsgebäude verließ. Kate beobachtete, dass ihre ehemals beste Freundin ein paar Papiere in ihre Tasche steckte, während die Tür hinter ihr zufiel. Sie schluckte. Tess schien also wirklich weiter nachzuforschen.
»Verdammt, Tess, lass bloß die Finger von Ellens Nachforschungen! Wir brauchen hier keine Miss Marple«, murmelte sie und verzog unglücklich das Gesicht, während Tess in ihren Wagen stieg und den Motor startete.
Wehmütig sah Kate ihrer Freundin hinterher, als sie wegfuhr. Sie seufzte. Vielleicht hätte sie damals doch die Wahrheit sagen sollen, dachte sie kurz.
Dann aber schüttelte sie entschlossen den Kopf. Es hätte ihr ohnehin niemand geglaubt.
13. Kapitel
Tess fuhr direkt zum Haus ihrer Tante, um sich dort in Ruhe die Artikel aus der Shadow Lake Gazette durchzulesen, die Mrs Pretzky für sie ausgedruckt hatte. Nachdem Ellen die Namen auf ihrer Todesliste aufgeführt hatte, war sie gespannt, was sie über die unbekannten Frauen erfahren würde.
Sie holte sich eine Cola aus dem Kühlschrank, zog die Papiere aus ihrer Tasche und setzte sich an Ellens Schreibtisch.
Zuerst nahm sie sich
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