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See der Schatten - Kriminalroman (German Edition)

See der Schatten - Kriminalroman (German Edition)

Titel: See der Schatten - Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenna Aaron
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das sich mit jedem Schritt verstärkte. Sie zwang sich, ruhig zu atmen und entschlossen weiterzugehen.
    Als sie ankamen, begann die Sonne gerade unterzugehen. Ihre Strahlen ließen das Wasser des Shadow Lake in warmen Orange- und Rottönen schimmern. Der Wind strich leicht durch die nahestehenden Bäume und untermalte die scheinbare Idylle mit einem leisen Rauschen.
    Aber Tess hatte keinen Blick dafür übrig. Sie sah nur die Felsen, zwischen denen Joanna damals gelegen hatte. Plötzlich hatte sie den Eindruck, sie wäre wieder an jenen verhängnisvollen Abend zurückkatapultiert worden. Instinktiv schlang sie die Arme um sich und kämpfte gegen die aufsteigende Übelkeit an.
    »Hier ist es?«, fragte Ryan mit belegter Stimme. »Hier hat man sie gefunden?«
    Tess nickte wortlos. Während Ryan schweigend seinen Gedanken nachhing und dabei auf den felsigen Untergrund und das glitzernde Wasser starrte, setzte sie sich auf einen großen, flachen Stein. Sie merkte, dass sie zitterte. Obwohl die Luft noch angenehm warm war, hatte sie am ganzen Körper eine Gänsehaut.
    Wie aus dem Nichts tauchten wieder die Bilder von Joanna vor ihr auf. Es war, als würde ihre Freundin wieder tot vor ihr auf dem Boden liegen. Tess sah das Messer, dessen Klinge im Licht der untergehenden Sonne glänzte. Und sie sah das Blut – und nicht nur das: Sie roch es sogar. Überall lag dieser metallene Geruch in der Luft, der sie seit jenem Abend nicht mehr losließ. Die Erinnerungen schnürten ihr den Hals zu. Noch viel deutlicher als sonst sah sie Joannas Augen vor sich. Diesmal aber hatte sie den Eindruck, Joanna würde nicht blicklos ins Leere starren, sondern direkt in ihr Gesicht. In ihrem Blick schien ein stummer Vorwurf zu liegen: Warum hast du mir nicht geholfen? ,schienen sie zu fragen.
    Plötzlich konnte sie nicht mehr anders, sie schluchzte laut auf.
    Ryan, der in Gedanken versunken ein paar Schritte auf den See zugegangen war, drehte sich zu ihr um. Mit sichtlich verwirrter Miene blickte er in ihr tränenüberströmtes Gesicht.
    »Tess, um Gottes willen, was ist denn los mit Ihnen?«, fragte er besorgt, während er auf sie zukam und neben ihr in die Hocke ging. »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
    Ohne ihn anzusehen, schüttelte Tess den Kopf. Dann schlug sie die Hände vors Gesicht und weinte. Ein paar Minuten nahm sie nichts um sich herum wahr. Sie ließ ihren Gefühlen einfach freien Lauf. Während die Tränen über ihr Gesicht strömten, merkte sie, wie sich die Anspannung der letzten Tage langsam löste und von ihr abfiel.
    Es dauert eine Weile, bis sie begann, sich langsam wieder zu beruhigen. Als sie aufblickte, bemerkte sie, dass Ryan immer noch neben ihr hockte und sie musterte. In seiner Miene mischten sich Besorgnis und Verwirrung.
    Tess schob sich mit beiden Händen die Haare aus dem Gesicht. Sie fühlte sich mit einem Mal völlig erschöpft. »Tut mir leid«, murmelte sie mit immer noch tränenerstickter Stimme. »Ich hätte nicht gedacht, dass es mich dermaßen mitnimmt, hierher zu kommen.« Sie bemühte sich zu lächeln, aber ohne Erfolg.
    Ryan ließ sie nicht aus den Augen. »Bei Ihrem Gefühlsausbruch ging es jetzt aber nicht um meine Schwester, oder?«, fragte er unsicher.
    »Nein.« Tess schüttelte den Kopf. Sie sah auf das glitzernde Wasser hinaus und suchte nach den richtigen Worten. »Dieser Ort ist für mich mit ziemlich schrecklichen Erinnerungen verbunden. Ich war seit fast sieben Jahren nicht mehr hier. Trotzdem hätte ich nicht gedacht, dass es mich so umhaut. Ich weiß selbst nicht genau, wie ich es erklären soll. Plötzlich war alles wieder da. Eigentlich wollte ich Ihnen nicht so eine Show bieten.« Diesmal gelang ihr zumindest ein kleines Lächeln.
    Aber Ryan blieb ernst. Er schien sich wirklich Sorgen um sie zu machen. »Was ist denn hier Schlimmes passiert, dass es Sie selbst nach Jahren total aus der Fassung bringt?«, wollte er wissen.
    Einen Moment zögerte Tess. Eigentlich waren ihre Erinnerungen zu privat, um sie mit jemandem zu teilen, den sie kaum kannte. Andererseits hatte sie das Gefühl, dass sie und Ryan durch den Tod seiner Schwester in gewisser Weise Leidensgenossen waren. Und vielleicht tat es ihr sogar ganz gut, sich alles von der Seele zu reden. Viel zu lange hatte sie alles mit sich selbst ausgemacht. Als sie wieder an die Anfeindungen von Joannas Mutter bei ihrem Einkauf dachte, die nur wenige Stunden zurücklagen, zeigte sich ein verbitterter Zug um ihren Mund. Im Gegensatz zu den

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