See der Schatten - Kriminalroman (German Edition)
murmelte Greg Koborski übellaunig. »Was treiben die beiden da im Haus?«
Wie so oft in den letzten Tagen hatte Greg aus dem Küchenfenster das Haus seiner Nachbarin beobachtet, in dem Tess Hennessey zurzeit wohnte. Er hatte gehofft, einen Blick auf sie zu erhaschen, wenn sie das Haus verließ. Stattdessen aber hatte er gesehen, dass ein dunkelhaariger Mann zu ihr gekommen war. Sie schien ziemlich vertraut mit ihm zu sein, denn sie hatte ihm die Tür geöffnet und ihn sofort hereingelassen. Das freundliche Lächeln, mit dem sie ihn begrüßt hatte, hatte Greg überhaupt nicht gefallen. Sofort hatte sich die gute Laune, mit der er am Morgen aufgestanden war, verflüchtigt.
Seitdem waren mehr als zwei Stunden vergangen, aber Greg hatte keinen von beiden mehr zu Gesicht bekommen.
Er hatte sich gezwungen, sich an seinen Schreibtisch zu setzen und ein wenig zu arbeiten, aber ohne Erfolg. Ständig hatten seine Gedanken um Tess und ihren unbekannten Besucher gekreist, sodass er keinen vernünftigen Satz hatte schreiben können. Nach mehreren vergeblichen Anläufen, einen neuen Artikel zu beginnen, hatte er schließlich entnervt aufgegeben und sich mit einer Tasse Tee ans Küchenfenster gesetzt. Sogar den Fernseher, der sonst eigentlich den ganzen Tag über lief, hatte er ausgeschaltet. Jetzt saß er schweigend in der ungewohnten Stille, starrte immer wieder aus dem Fenster zum Nachbarhaus hinüber und wartete.
Plötzlich stutze er. Hatte sich da nicht etwas bewegt? Tatsächlich. Er beobachtete, wie sich die Haustür des Nachbarhauses öffnete und der Unbekannte auf die Veranda trat, gefolgt von Tess. Die beiden unterhielten sich noch kurz. Als der Fremde sich dann mit einem Kuss von Tess verabschiedete, verzog Greg missmutig das Gesicht. Aus der Entfernung hatte er zwar nicht erkennen können, ob der Kerl sie auf den Mund oder nur auf die Wange geküsst hatte, aber beides gefiel ihm nicht.
Er spürte einen leichten Stich. War er etwa eifersüchtig? Er lachte spöttisch auf. Das konnte doch nicht sein. Er war doch nicht eifersüchtig wegen einer Frau, mit der er noch nicht einmal gesprochen hatte, oder? Er schüttelte den Kopf, um sich selbst davon zu überzeugen, dass dem nicht so war. Trotzdem konnte er seinen Blick nicht vom Fenster abwenden, bis der Kerl in seinem Auto, einem unauffälligen grauen Chrysler, weggefahren und Tess wieder im Haus verschwunden war.
Dann setzte er sich doch wieder an seinen Schreibtisch und starrte auf den leeren Monitor vor sich. Er hatte sich vorgenommen, einen bissigen Kommentar über die nächsten Präsidentschaftskandidaten zu verfassen, aber alles, was ihm einfiel, waren abgedroschene Phrasen und leere Worthülsen. Immer wieder begann er einen Satz, nur um ihn Sekunden später wieder zu löschen.
Er lehnte sich zurück und fluchte laut. Inzwischen stand er ziemlich unter Druck. Wenn der Chefredakteur der Satirezeitschrift, für die er regelmäßig schrieb, nicht bald etwas Neues von ihm in die Finger bekam, gehörte die Zusammenarbeit wohl bald der Vergangenheit an.
Dann schnappte er sich die Fernbedienung, schaltete den Fernseher wieder ein und fing an, sich durch die Kanäle zu zappen. Vielleicht würde ihn das auf andere Gedanken bringen. So paradox es klang, manchmal kamen ihm bei den niveaulosesten Sendungen die genialsten Ideen.
In diesem Moment klopfte es an der Tür. Erschreckt zuckte er zusammen und fragte sich, wer das wohl sein mochte. Er bekam sonst nie Besuch und war auch jetzt nicht besonders erpicht darauf.
Trotzdem erhob er sich schwerfällig aus seinem bequemen Schreibtischsessel, der das einzig wirklich komfortable Möbelstück im ganzen Haus darstellte, und ging zur Tür.
Als er öffnete, bemühte er sich nicht darum, seinen genervten Gesichtsausdruck zu verbergen. Wer immer das auch war, er konnte ruhig merken, dass er störte.
Seine Einstellung änderte sich allerdings schlagartig, als er sah, wer da vor ihm stand: Es war Tess Hennessey. Sie lächelte ihn freundlich – wenn auch unverbindlich – an.
»Hallo, mein Name ist Tess Hennessey«, begrüßte sie ihn und streckte ihm die Hand hin.
Greg fuhr sich verlegen durch die unordentlichen Haare und schüttelte dann ihre Hand. Dabei musterte er sie so unauffällig wie möglich. Aus der Nähe war sie tatsächlich noch anziehender als von Weitem. Sie war nicht unbedingt als schön zu bezeichnen, aber sie hatte ein niedliches Gesicht mit einer Stupsnase und ungemein faszinierende Augen. Sie waren von einem
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