See der Schatten - Kriminalroman (German Edition)
dem, was in diesem Ort alles passiert war, überhaupt noch einmal zurückgekommen war. Sie schien zumindest nicht vor ihren Problemen davonzulaufen.
»Wohnen sie schon lange in Shadow Lake?«, unterbrach Tess ihn in seinen Gedanken.
»Schon eine ganze Weile«, gab Greg unbefangen zurück. Er überlegte einen Augenblick. »genau genommen sind es jetzt ungefähr sechs Jahre.«
Tess warf ihm einen entsetzten Blick zu. »Sie wohnen jetzt schon seit sechs Jahren in diesem Haus?«
Unwillkürlich musste Greg lachen. »Ja, das ist kaum zu glauben, dass es jemand in so einer Bruchbude länger aushält, oder? Aber jetzt sind Sie ja als mein rettender Engel erschienen. Ich gebe zu, dass ein Umzug mir inzwischen ziemlich verlockend erscheint.«
Als sie das Haus von Ellen erreichten, schloss Tess die Tür auf und bat Greg herein. Er blickte sich ausgiebig um, so als würde er alles zum ersten Mal sehen.
»Hier vorn ist gleich die Küche und dahinter das Wohnzimmer«, erklärte Tess. Dann wies sie auf die schmale Holztreppe, die in das obere Stockwerk führte. »Und oben befinden sich noch drei Zimmer und ein Bad. Ich weiß, die Räume sind alle sehr klein. Aber das Haus ist in einem guten Zustand, und für einen allein wäre es doch eigentlich ideal.«
Sie lächelte ihm entschuldigend zu, wobei ihr Gesichtsausdruck zwischen Verlegenheit und Hoffnung schwankte. Wieder überzog eine leichte Röte ihre Wangen und Greg hätte sie am liebsten in den Arm genommen und geküsst. Tess hat bestimmt keine Ahnung, wie sie auf Männer wirkt, dachte er bei sich.
Greg grinste. »Für mich allein wäre hier allemal genug Platz«, erwiderte er möglichst lässig. »Und was den Zustand angeht … Naja, sie haben ja gesehen, wie es drüben bei mir aussieht. Dazu brauche ich wohl nichts weiter zu sagen.«
Nacheinander stiegen sie die Stufen in das obere Stockwerk hinauf. In dem Zimmer, in dem sie zurzeit schlief, erzählte Tess Details über das Haus, aber Greg hörte ihr kaum zu. Er hatte genug damit zu tun, sie genau anzusehen und jede Einzelheit ihres Gesichts und ihres Körpers in sich aufzunehmen.
Sie verließen Tess` Zimmer und betraten wieder den kleinen Flur. Greg fiel auf, dass Tess einen Moment innehielt, bevor sie die Tür zum nächsten Raum öffnete. Er erwartete, dass sie ihn hineinbat, aber das tat sie nicht. Stattdessen blieb sie im Flur stehen und deutete nur mit der Hand hinein. Greg runzelte die Stirn, als er beobachtete, dass sie nicht einmal in den Raum hineinsah.
»Das ist das zweite Schlafzimmer. Es ist ungefähr genau so groß wie das erste«, sagte Tess lapidar und wandte sich gleich wieder ab.
Als Greg einen neugierigen Blick hineinwarf, erkannte er sofort, was mit ihr los war. Das musste das Zimmer von Ellens Sohn gewesen sein, von dem Kerl, der die kleine Miller erstochen haben und dann abgehauen sein sollte. Er war fast schon enttäuscht, dass es so normal aussah: grauer Teppichboden, billige Holzmöbel, dazwischen die üblichen Sporttrophäen eines Schülers, der einigermaßen talentiert war, und an den Wänden Poster von Rockbands, die inzwischen längst wieder in der Versenkung verschwunden waren. Er hätte irgendwie etwas Spektakuläreres erwartet.
Da Tess schon weitergegangen war, schloss er die Tür und folgte ihr in den nächsten Raum, in Ellens Schlafzimmer. Dort stellte sich Tess ans Fenster und wies mit einer Handbewegung hinaus. »Im Winter, wenn die Bäume kein Laub tragen, kann man bis auf den Shadow Lake sehen. Besonders schön ist es in der Morgendämmerung, wenn das Licht der aufgehenden Sonne ein Glitzern auf die Wasseroberfläche zaubert.«
Greg, der hinter ihr stand, sagte nichts. Der Ausblick aus dem Fenster interessierte ihn nicht. Er war völlig fasziniert von dem sanften Schimmer auf Tess` kurzen dunklen Haaren. Unwillkürlich streckte er die Hand aus, um es zu berühren. Im letzten Moment überlegte er es sich anders und zog seine Hand zurück. Doch Tess schien etwas bemerkt zu haben. Mit einem Ruck drehte sie sich herum und starrte ihn verwirrt an.
»Eine wirklich schöne Aussicht,« bestätigte Greg, ohne auf ihren prüfenden Blick einzugehen. Er hatte entschieden, so zu tun, als wäre nichts passiert.
Auf Tess` Gesicht zeigte sich Unsicherheit. »Ja, also, dann haben Sie jetzt alles gesehen. Den Garten kennen Sie ja schon«, stammelte sie nervös. »Dann können wir ja jetzt die Einzelheiten besprechen. Allerdings habe ich Durst und kaum noch etwas im Haus. Was halten Sie davon,
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