Seefeuer
dem
sich unter grünem Tuch ein menschlicher Körper abzeichnete. »Wollen Sie sie
noch einmal sehen?«
Wolf wusste aus Erfahrung, dass sie hin und wieder mit
ihrer Arbeit kokettierte und es ihr Spaß machte, die eine oder andere Leiche
vorzuführen. Zugegeben, es grenzte ein bisschen an Sadismus, doch war es
vermutlich die einzige Art, die Gräuel ihres Berufes unbeschadet zu überstehen.
»Vielen Dank, nicht nötig«, antwortete er schnell und
winkte ab. Fürs Erste hatte er genug erfahren. Nachdenklich ging er mit der
Ärztin zusammen zum Ausgang.
»Was würden Sie davon halten, wenn wir uns demnächst
mal wieder außerhalb Ihres Etablissements treffen?«, fragte er, um auf andere
Gedanken zu kommen. »Bei einem Glas Wein zum Beispiel …«
»Gute Idee! Nur der Ordnung halber: Injeladen oder
uffjefordert, wie die Berliner zu sagen pflegen?«
»Sie sind natürlich mein Gast, Franzi.«
»In diesem Fall können Sie fest mit mir rechnen«,
lachte sie. »Sie melden sich, ja? Wiedersehen, Leo.«
***
Wolf
kam aus dem Staunen nicht heraus. Bis heute früh hatte er von der Existenz
einer Droge namens Crystal nicht die geringste Ahnung gehabt. Jetzt, kaum sechs
Stunden später, schien ihn der neue Fall auf brutale Weise damit zu
konfrontieren.
Als er sein Büro betrat, war Jo eben dabei, seinen
Schreibtisch nach einer freien Stelle abzusuchen, an der sich eine Mappe
ablegen ließ. Angewidert starrte sie auf das Durcheinander. »Hätten Sie was
dagegen, wenn ich da mal Ordnung schaffe, Chef?«
»Untersteh dich!«, brummte Wolf.
Kurzerhand drückte sie ihm die Mappe in die Hand.
»Hier, der vorläufige Bericht aus dem Labor. Sie wissen schon, über die
Taucherausrüstung.«
»Sehr gut«, erklärte er. »Hol Ludger her, wir sprechen
sofort darüber.«
Als Wolf seinen beiden Mitarbeitern gegenübersaß,
schlug es vom nahen Münster halb zwei. Aufgeräumt lehnte er sich zurück und
nippte an seiner Tasse, die eine hellbraune, milchige Flüssigkeit enthielt:
Pastis. Natürlich trank er ihn nicht pur, sondern, wie es sich gehörte, im
Verhältnis eins zu acht. Seine Vorliebe für den aus Frankreich kommenden
Anisschnaps entsprang seiner über Jahre gepflegten frankophilen Neigung, die er
bei jeder seiner Reisen in das westliche Nachbarland aufs Neue belebte. Für
sich und Kalfass hatte Jo Kaffee besorgt.
»Also, Leute, wer fängt an?«
Während Ludger Kalfass Block und Stift in eine
akkurate Position brachte, ergriff Jo bereits das Wort.
»Zum Fall der toten Taucherin …«
»Moment – ich dachte, wir reden zuerst über meine
Ermittlungen zur Brandserie …?«, fiel ihr Kalfass ungehalten ins Wort.
»Nein, die Taucherin hat Vorrang«, entschied Wolf. »Du
wirst gleich verstehen, warum. Weiter, Jo.«
»Laut Erkennungsdienst verlief die Untersuchung der
Tauchausrüstung negativ; keinerlei Spuren an den einzelnen Teilen, die uns
weiterbrächten, keine Hinweise auf die Besitzer beziehungsweise Vorbesitzer.
Trotzdem sind wir einen entscheidenden Schritt weiter.«
Wolf horchte auf. »Wieso?«
»Während Sie weg waren, kam eine Vermisstenmeldung
herein, die haargenau auf unsere tote Taucherin passt.«
»Lass hören!«
Jo entnahm der vor ihr liegenden Mappe einen Zettel
und las ab: »Das Mädchen heißt Tamara Reich, fünfzehn Jahre alt, Schülerin am
Bodensee-Internat. Verantwortlicher Lehrer ist ein gewisser Gregor Hajek.« Sie
legte den Zettel in ihre Mappe zurück und sah Wolf an. »Eigentlich hätte ich
heute früh schon darauf kommen müssen. Das Amulett, das die Tote am Hals trug –
Sie erinnern sich? Es ist das Signet des Bodensee-Internats.«
»Wer hat die Meldung gemacht?«
»Das Internat. Die Eltern sind derzeit auf einer
Auslandsreise, man hat sie bereits verständigt. Die Kleine hat einen Bruder,
Philip Reich, achtzehn, ebenfalls Schüler an diesem Internat.«
»Du hast den Leuten hoffentlich keine Details
genannt?«
»Ich mache meinen Job nicht erst seit gestern«,
giftete sie ihn beleidigt an.
»Du hast recht, entschuldige bitte«, gab er ungerührt
zurück und nippte erneut an seiner Tasse. »Gut! Also wissen wir jetzt, wer sie
ist.« Er machte eine kurze Pause. »Außerdem wissen wir, wie sie zu Tode kam.«
Jetzt hatte Wolf die ungeteilte Aufmerksamkeit seiner
Mitarbeiter. »Und?«, kam es wie aus einem Munde.
»Das Mädchen starb vermutlich an einer Überdosis
Rauschgift in Verbindung mit exzessivem Alkoholkonsum.«
»Hatte der Notarzt also recht«, sagte Jo gedehnt. »Um
welchen Stoff
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