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Seefeuer

Seefeuer

Titel: Seefeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Megerle
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Hauptkommissar, ein Mangel,
den er ganz sicher als höchst bedauerlich empfand – warum sonst sollte er
versuchen, durch besonders hohe Absätze an seinem Schuhwerk größer zu
erscheinen, wie Wolf mit einem taxierenden Blick feststellte? Bis auf einen
schmalen, dunklen Haarkranz, einem mittelalterlichen Mönch nicht unähnlich, war
sein Schädel kahl. Der mönchhafte Eindruck wurde durch die stämmige Figur eher
noch verstärkt.
    Kaum hatte Wolf den ersten Schritt in das teuer
eingerichtete Büro gesetzt, schnellte Pohl auch schon hinter seinem
Schreibtisch hoch und ging dem Besucher entgegen.
    »Also gut, zwei Minuten! Um was geht es?«, bellte er
grußlos.
    Wolf konnte sich nicht erinnern, dass die Sekretärin
seine Bitte um zwei Gesprächsminuten ihrem Chef weitergegeben hatte. Hörte der
Mensch etwa sein eigenes Vorzimmer ab?
    »Guten Abend. Wolf, Kripo Überlingen. Ich habe nur
eine kurze Frage, Dr. Pohl: Wo waren Sie gestern Abend bis etwa gegen ein Uhr
nachts?«
    Statt einer Antwort ging der Anwalt zu seiner
Sprechanlage. »Jane, kommen Sie mal?« Die Sekretärin erschien im Türrahmen.
    Beinahe hätte Wolf einen Lachkrampf bekommen. Vor
langer, langer Zeit hatte es mal eine gewisse Jane Russell gegeben, vollbusig,
blond, verführerisch, kurz: der Traum aller Männer – er hatte noch einen
Schwarzweißfilm mit ihr in Erinnerung, »Sein Engel mit den zwei Pistolen« hieß
er, wenn er es noch recht wusste. Hatte der gute Doktor, in seliger Erinnerung
an seine besten Jahre, den Zerberus deshalb »Jane« genannt?
    »Jane, sagen Sie dem Herrn … wie war doch gleich Ihr
Name? Wolf? Also, sagen Sie dem Herrn Wolf doch bitte mal, wo ich mich gestern
Abend aufgehalten habe, sozusagen.«
    Die Blondine starrte ihn verständnislos an. »Nun
machen Sie schon«, drängte er.
    »Der Herr Doktor war gestern um die fragliche Zeit in
Luzern, zusammen mit Herrn Dr. Weselowski.«
    »Danke, Jane. Sie können gehen.«
    Nachdem sie hinausgerauscht war, fragte Wolf: »Ihre
Sekretärin war dabei?«
    »Wo denken Sie hin? Eine reine Männerrunde. Ich dachte
nur, es wäre gut, wenn Sie es aus dem Munde meiner Sekretärin hören. Als
Bestätigung sozusagen.« Als Wolf darauf nicht reagierte, fügte er hinzu: »War’s
das?«
    »Das war’s. Das heißt, bis auf eine letzte Frage:
Haben Sie mitbekommen, wie Dr. Weselowskis Handy abhandenkam?«
    »Ich weiß nur, dass er es plötzlich vermisste. Das war
etwa gegen neunzehn Uhr, sozusagen.«
    Wolf sah auf seine Armbanduhr. »Ich sehe, die zwei
Minuten sind um. Danke, dass Sie mir Ihre kostbare Zeit geschenkt haben. Ich
finde dann allein raus. Wiedersehen.«
    Als er die Kanzlei eben verlassen wollte, rief ihn
Pohl noch einmal zurück. Der Anwalt schwenkte etwas in der Hand: »Hier, unsere
beiden Eintrittskarten für das Luzerner Theater. Damit Sie mir auch glauben.«
    Wolf warf einen erstaunten Blick auf die Karten. »Kann
ich die mitnehmen?«, fragte er.
    »Nehmen Sie, nehmen Sie.«
    »Übrigens: Interessiert es Sie gar nicht, warum wir
wissen möchten, wo Sie gestern waren?«
    »Wie? Äh … natürlich … eben wollte ich danach fragen.«
    »Von Herrn Dr. Weselowskis Handy wurde gestern Nacht
die Überlinger Notrufzentrale angerufen.«
    »Die Notrufzentrale? Niemals! Nicht von Hans-Gerd,
also von Dr. Weselowski. Wann genau, sagten Sie, soll der Anruf erfolgt sein?«
    »Von einer Uhrzeit war noch nicht die Rede. Aber wenn
Sie schon fragen: Es war um dreiundzwanzig Uhr fünfunddreißig.«
    »Wie gesagt, das ist unmöglich, sozusagen, da war sein
Handy bereits weg. Und wegen eines Telefonanrufs veranstalten Sie einen solchen
Wirbel?«
    »Wenn eine Leiche im Spiel ist, sind wir nun mal dazu
verpflichtet.«
    »Leiche? Was für eine Leiche, um Gottes willen?«
Plötzlich schien das ganze großspurige Getue von Pohl abzufallen und gespannter
Erwartung – oder war es eher Besorgnis? – Platz zu machen.
    »Tut mir leid, ich kann Ihnen aus
ermittlungstaktischen Gründen keine Einzelheiten nennen. Nur so viel: Wir haben
sie aus dem Bodensee gefischt und nicht aus dem Luzerner Orchestergraben.
Sollten Sie also tatsächlich dort gewesen sein, hat sich die Sache damit für
Sie erledigt. Sozusagen.«
    ***
    Während
sich in den meisten anderen Büros der Stadt die Beschäftigten auf das nahe
Wochenende vorbereiteten, summte es in den Redaktionsräumen des »Seekurier«
noch immer wie in einem Bienenstock. In gewisser Weise fing die Arbeit hier
jetzt erst richtig an. Pünktlich um dreiundzwanzig

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