Seefeuer
man der Toten nicht einen Stein um den Hals gehängt und
sie in den See geworfen? Wäre doch viel einfacher gewesen?«
»Einfacher vielleicht, aber auch unsicherer«, brachte
Wolf das Gespräch auf den Punkt. »Stellt euch vor, der Leichnam hätte sich aus
irgendeinem Grund von dem Gewicht gelöst und wäre durch die Fäulnisgase nach
oben getrieben – das hätte unter Garantie einen Riesenwirbel ausgelöst. Warum
dieses Risiko eingehen? Warum nicht versuchen, uns die Tote als Taucherunfall
zu verkaufen? Könnte doch sein, dass wir einen schlechten Tag haben und den
Fall einfach durchwinken.« Wolf kaute an seiner Unterlippe. »Wir wissen einfach
noch viel zu wenig, darum lasst uns an dieser Stelle Schluss machen. Morgen ist
Samstag. Gleich in der Früh werde ich dem Bodensee-Internat einen Besuch
abstatten, vielleicht wissen wir dann mehr. Bis dahin gilt: keinerlei
Information nach draußen geben – das gilt übrigens auch für unseren
Pressesprecher – außer der, dass am Seeufer nahe beim Spetzgarter Hafen eine
tote Taucherin gefunden wurde, Todesursache unbekannt.«
»Was ist mit Angaben zur Person – Alter,
Beschreibung?«
»Das allerdings wäre nicht verkehrt. Vielleicht
erhalten wir auf diesem Weg einen Hinweis aus der Bevölkerung.«
Wolfs Telefon klingelte. Er stand auf, nahm den Hörer
ab und meldete sich. Zwei Minuten später saß er wieder am Tisch.
»Marsberg ist sicher, dass wir Versicherungsbetrug bei
dem Nußdorfer Brandfall ausschließen können. Nach Aussage der Hausbank steht
die Firma finanziell und auftragsmäßig bestens da. Daraufhin haben sich
Marsbergs Leute den Prokuristen zur Brust genommen. Sieht so aus, als hätte der
aus Rache für seine Entlassung eine falsche Spur gelegt.«
»Der Mann machte einen absolut vertrauenswürdigen
Eindruck, Chef«, verteidigte sich Kalfass.
»Kennen wir«, brummte Wolf. »Und was kam beim
Brandsachverständigen heraus?«
»Na ja: Bei allen drei Bränden kamen chemische
Zeitzünder zum Einsatz. Angeblich einfach konstruiert, aber sehr effektiv, die
genaue Spezifizierung liegt uns vor. Interessant ist außerdem die Aussage des
Bauern in Aufkirch, dessen Scheune abgefackelt wurde. Ihm ist tatsächlich in den
Tagen vor dem Brand ein Motorradfahrer aufgefallen, der mehrfach in auffälliger
Weise an den Gebäuden vorbeigefahren sein soll.«
»Kennzeichen? Fabrikat? Personenbeschreibung?«
»Leider Fehlanzeige, außer dass die Maschine
›irgendwie rot‹ gewesen sein soll. Übrigens habe ich unseren Computer nach
vergleichbaren Fällen von Brandstiftung in der Region befragt. Keinerlei
Übereinstimmungen.«
»Das bringt uns nicht wirklich weiter«, murmelte Wolf.
Nachdenklich rückte er sein Barett zurecht. »Wir machen Folgendes: Du, Ludger,
kümmerst dich gleich Montag früh um dieses ›irgendwie rote‹ Motorrad. Fahr noch
einmal zu den Tatorten raus, frag den Leuten Löcher in den Bauch – wenn es das
Ding tatsächlich gibt, muss es auch anderen aufgefallen sein. Vielleicht lässt
sich der Typ feststellen? Und was dich betrifft, Jo: Du ziehst bitte alles aus
dem Internet, was du über die Partydroge Crystal finden kannst. Und sprich mit
den Kollegen vom Rauschgiftdezernat. Ich selbst fahre jetzt sofort zu Pohl, um
Weselowskis Aussage zu überprüfen. Will hoffen, dass er noch in der Kanzlei
ist. Später am Abend hab ich dann ein Date mit Sommer. Bin gespannt, was der bezüglich
Crystal von seinem Termin beim LKA mitgebracht
hat. Ach ja, noch eins: Bitte meldet euch ab, ehe ihr ins Wochenende geht.«
***
»Ich
bezweifle, dass Dr. Pohl Zeit für Sie hat.«
Wolf hatte sich vor dem Schreibtisch der ältlichen
Blondine aufgebaut, die wie ein Zerberus über Pohls Vorzimmer wachte.
»Versuchen Sie’s einfach mal. Dauert nur zwei Minuten«, gab er zurück.
Widerwillig nahm sie den Hörer ab und drückte zwei
Tasten. »Herr Doktor, da will Sie ein Hauptkommissar Wolf von der Kripo
Überlingen sprechen. Sagt, es sei persönlich … gut, ich schick ihn rein.«
»Sehn Sie, geht doch!« Wolf kannte das Spiel.
Gleichgültig, ob der Angesprochene in den Fall verwickelt war oder nicht, ob
ihm der Moment gerade passte oder nicht, letztlich siegte immer die Neugier: Um
was geht es da? Häng ich mit drin? Kann ich mich verweigern, ohne mich
verdächtig zu machen?
Wortlos wies die Sekretärin auf die Edelholztür, die
in Pohls Allerheiligstes führte, und Sekunden später stand Wolf dem Anwalt
gegenüber. Der war einen guten Kopf kleiner als der
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