Seefeuer
bemerkte Pohl im Rückspiegel die Lichthupe eines sich schnell nähernden
Wagens. Er ging mit dem Fuß vom Gas und ließ den Drängler vorbeiziehen,
Hohnisch tat es ihm gleich. Es war der blaue BMW ,
der vor wenigen Minuten in Frickingen den Engpass verursacht hatte. Gott sei
Dank war um diese Zeit der Verkehr gleich null. Nur noch wenige Minuten, und er
wäre zu Hause. Zwar stimmte ihn die Aussicht auf den restlichen Abend ohne
weibliche Gesellschaft nicht gerade fröhlich, doch das sollte seine momentane
Hochstimmung nicht trüben.
Noch eine Haarnadelkurve, die vorletzte, und er war
oben. Das heißt, falls es dieser Idiot noch richten konnte, der ihnen da
entgegenkam – oder sollte er sagen: entgegen flog? Der
Kerl nahm ja die ganze Breite der Fahrbahn in Anspruch! So fuhr doch kein
normaler Mensch, schon gar nicht auf einer so gefährlichen Bergstrecke. Jetzt
trennten sie nur noch hundert Meter, rasend schnell kam der Wagen näher. Als
vor ihm gleichzeitig Hohnischs Lichthupe und seine Bremslichter aufblitzten,
geriet Pohl vollends in Panik. Er konnte nicht nach rechts ausweichen, nicht
einen Meter. Es gab keine Leitplanke, sein Wagen würde den Steilhang
hinabstürzen, sich überschlagen und, wenn er Glück hätte, irgendwo zwischen den
Bäumen hängen bleiben. Pohl schickte ein Stoßgebet zum Himmel, in der Hoffnung,
dass der Irre in einer Reflexbewegung auf seine eigene Spur zurücksteuern
würde, schließlich brachte er sich selbst in Gefahr. Doch der Kerl dachte nicht
daran, im Gegenteil, er zog seinen Wagen eher noch weiter herüber. Vor ihm trat
Hohnisch jetzt voll auf die Bremse. Doch er konnte den Crash nicht mehr
verhindern. Zwar riss der andere Fahrer seinen Wagen in letzter Sekunde
bergwärts, doch das Gewicht seines Fahrzeugs, potenziert durch die hohe
Geschwindigkeit, fegte Hohnischs Mercedes regelrecht von der Straße.
Ums Haar wäre ihm der Crashverursacher gefolgt, der
jetzt mit quietschenden Reifen die abschüssige Straße hinabschlingerte. Dass
Pohl es irgendwie schaffte, ungestreift an ihm vorbeizukommen, grenzte an ein
Wunder. Irgendwie brachte er den Wagen zum Stehen und zog mit zitternden Händen
die Handbremse an.
Wie gelähmt saß er sekundenlang hinter dem Lenkrad,
unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Als er ausstieg, war der andere Wagen
verschwunden. Die Hände vor das Gesicht geschlagen, holte Pohl mehrmals tief
Luft, ehe er an den Straßenrand trat und einen Blick in die Tiefe riskierte.
Nur schemenhaft war Hohnischs Fahrzeug irgendwo in der dunklen Tiefe des
baumbestandenen Steilhangs zu erkennen. Es lag auf dem Dach, die Scheinwerfer
bohrten weiße Löcher ins Nichts. Zischend stieg eine feine Dampfsäule empor,
sonst rührte sich nichts. Mehrmals rief er Hohnischs Namen. Den Steilhang
hinabzuklettern, dazu fehlte ihm der Mut.
Endlose Sekunden verstrichen, ehe Pohl wieder zum
Wagen zurückkehrte. Er nahm sein Handy heraus, drückte mit zitternden Fingern
die ersten Tasten, dann brach er ab. »Um Gottes willen, nicht mit dem Handy«,
flüsterte er, setzte sich in den Wagen und fuhr hinauf nach Heiligenberg.
***
Am
späten Nachmittag, noch ehe die Abendgäste eintrafen und das
Gaststättenpersonal mit Beschlag belegten, hatte Karin Winter ihre »Lokalrunde«
begonnen. Mit den meisten Inhabern wie auch den Bedienungen war sie mehr oder
weniger bekannt. Sie gab vor, über den Klinikchef und dessen gewaltsamen Tod
Hintergrundmaterial zu sammeln, um die Öffentlichkeit über das Geschehen zu
informieren und so möglicherweise sogar zur Aufklärung der Tat beizutragen. Die
Reputation, die der »Seekurier« in der Region genoss, kam ihr dabei zustatten.
Am Abend waren aus den von Matuschek genannten drei
Adressen sieben geworden. Immer wieder hatte man sie an weitere Lokale
verwiesen. Erwartungsgemäß wollten die Befragten keine Details herausrücken.
Als Karin andeutete, einige von Weselowskis Freunden kontaktieren zu wollen,
und die Frage stellte, mit wem er denn so zusammen gewesen sei, wurden weitere
Namen genannt. Am Ende hatte sie eine Liste von elf Personen beisammen. Mit einiger
Sicherheit konnte sie davon ausgehen, dass diese Liste den harten Kern des
»Rosaroten Netzwerks« enthielt.
Wer genau dazuzählte, das war eine Frage der
Feinrecherche, und darin war Karin besonders gut. Sie war, was man eine
»investigative Journalistin« nannte, eine, die mit Biss und kriminalistischem
Spürsinn Details ans Licht holte, Hintergründe aufspürte, Zusammenhänge
herstellte,
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