Seefeuer
Himmel weiß,
wieso er heute Nacht ausgerechnet hier lag.«
Die ganze Zeit über wurde Wolf das Gefühl nicht los,
mit dem brennenden Schiff stimme irgendetwas nicht. Die Flammen schienen sich
nicht von einer bestimmten Stelle her auszubreiten, vielmehr schlugen sie
überall gleichzeitig hoch: am Heck, am Bug und sogar mittschiffs. Ehe er weiter
darüber nachdenken konnte, traten zwei Feuerwehrleute zu ihnen.
»Sie sind von der Kripo Überlingen, höre ich?«, fragte
der Ältere der beiden. Leicht irritiert blieb sein Auge an Wolfs Kopfbedeckung
hängen, ehe er fortfuhr: »Mein Name ist Grupp, Feuerwehr Stockach. Ich bin hier
der Einsatzleiter. Das ist mein Vertreter und gleichzeitig der amtierende Brandsachverständige
des Kreises, Manfred Schönwald.«
Aufgrund der größeren Nähe zum Brandherd hatten hier
also die Stockacher das Heft in der Hand. »Lange nicht gesehen«, meinte Wolf
scherzhaft, als er Schönwald die Hand reichte.
»Der Hallenbrand im Bodensee-Internat, ich weiß. Wie
ich höre, ist der Fall noch nicht abgeschlossen.«
»So ist es, leider«, bestätigte Wolf. Er wies auf das
brennende Schiff, auf dem die Löschbemühungen der Feuerwehr langsam Wirkung
zeigten. »Wird wohl nicht viel übrig bleiben von dem Kahn«, konstatierte er.
»Stimmt, da hat jemand ganze Arbeit geleistet«,
bestätigte Schönwald. Auf Wolfs fragenden Blick fuhr er fort: »Wir sind uns so
gut wie sicher, dass auch hier, wie bei den anderen Bränden, Brandbeschleuniger
eingesetzt wurden.«
»Das würde erklären, warum die Flammen auf dem
gesamten Schiffskörper gleichzeitig auftreten.«
»Richtig. Wenn zum Beispiel im Maschinenraum ein Brand
ausbricht, frisst er sich von dort aus weiter, je nach Windrichtung zum Bug
oder zum Heck. Niemals brennt es vorne und hinten gleichzeitig – es sei denn,
jemand hat nachgeholfen. Aber wir wollen der genauen Untersuchung nicht
vorgreifen.«
»Wer hat den Brand entdeckt?«, fragte Jo.
»Ein Segler. Liegt mit seinem Boot an einem der Stege
hier rechts, etwa dreißig Meter weiter. Er hat auf seinem Schiff übernachtet
und musste in der Frühe mal raus«, erklärte Grupp. »Der Mann heißt Haller,
kommt aus Wangen. Falls Sie ihn befragen wollen.« Irgendetwas auf dem See nahm
seinen Blick gefangen. »Das Boot der Wasserschutzpolizei, wenn ich mich nicht
irre. Wird aber auch Zeit.«
Wolf nickte zustimmend. Da fiel ihm noch etwas ein:
»Sagen Sie, war von Ihnen ein Taucher während der letzten Viertelstunde
draußen? Mit draußen meine ich ein ganzes Stück weiter draußen als das Schiff?«
»Nö, das wüssten wir. Warum fragen Sie?«
»Och, nur so.«
Grupp und sein junger Kollege wurden wieder bei den
Löscharbeiten gebraucht. Auch Marsberg verabschiedete sich. »Ihr macht das
schon«, meinte er schmunzelnd. »Und reiß dem Kollegen von der Bereitschaft
nicht gleich den Kopf ab, Leo, hörst du?« Als Antwort brummte Wolf etwas
Unverständliches.
Er wollte sich eben mit Jo auf den Weg zu dem Segler
machen, als hinter ihnen eine vertraute Frauenstimme erklang. »Wen haben wir
denn da? So früh schon auf den Beinen, Herr Wolf?« Karin Winter nickte Jo
beiläufig zu. »Warum gönnen Sie mir nicht den Triumph, wenigstens ein Mal vor
Ihnen am Tatort zu sein?«
»Vielleicht klappt’s ja das nächste Mal, verehrte Frau
Winter.«
»Und – sind Sie schon zu einem Ergebnis gekommen, was
den brennenden Kahn da draußen anbelangt?«
»Wie sollte ich? Vermutlich weiß ich nicht viel länger
davon als Sie.« Er verkniff sich die Frage, wie sie überhaupt von dem Vorfall
erfahren hatte. »Lassen Sie uns doch einfach die Berichte des
Brandsachverständigen und der kriminaltechnischen Untersuchung abwarten, ja?
Würde mich allerdings sehr wundern«, fügte er zerknirscht hinzu, »wenn dahinter
nicht unser Serientäter steckte – Sie wissen schon, der Brandstifter, der
leider immer noch frei herumläuft.«
»Da bin ich mir nicht so sicher …«, antwortete sie
zögernd. »Könnte sein, dass Sie diesmal mit Ihrer Einschätzung danebenliegen!«
Wolf horchte auf, Karin Winters Bemerkung irritierte
ihn. »Könnten Sie sich etwas genauer ausdrücken?«
»Ich hab da so eine Theorie, die muss aber erst
reifen. Geben Sie mir noch vierundzwanzig Stunden. Wahrscheinlich sind wir dann
beide ein bisschen schlauer, okay?«
In diesem Augenblick ertönte drüben auf dem Schiff ein
Schrei, so grell, dass er den Umstehenden kalte Schauer über den Rücken jagte.
Überrascht starrten sie hinüber – und
Weitere Kostenlose Bücher