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Seegrund

Seegrund

Titel: Seegrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kobr Michael Kluepfel Volker
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gefunden habe …«

    12. Februar 1946

    Der Marsch durch den Schnee bereitete ihm Schmerzen. Noch immer war sein Bein nicht verheilt. Aber er würde nicht zulassen, dass sie es ihm abnahmen. So viele hatte er gesehen, denen sie kurzerhand den Unterschenkel amputiert hatten. Solange es noch Hoffnung gab, würde er alles tun, um nicht als Krüppel durch die Welt laufen zu müssen.
    Fast anderthalb Stunden hatte er gebraucht vom Tal aus. Immer wieder war er mit seinem Stock weggerutscht. Doch er hatte es geschafft. Unbemerkt von den Besatzern stand er nun so, dass er durch einige Baumreihen die Wasseroberfläche sehen konnte, die mit brüchigem Eis bedeckt war. Bei der alten, krummen Weide wollten sie sich treffen, am Jahrestag. Doch niemand war hier. Das ganze Seeufer lief er ab, doch er fand keinen.
    Verzweifelt drehte er sich eine Zigarette und zündete sie an.
    Ob er der Einzige war, der alles lebend überstanden hatte? Waren all die Kameraden noch gefallen, nachdem man ihre Gruppe aufgelöst und sie in alle Himmelsrichtungen verstreut hatte, um an den Fronten zu kämpfen? Oder befanden sie sich in Kriegsgefangenschaft? Einer würde heute sicher nicht kommen: ihr damaliger Vorgesetzter, Feldwebel Zettler. Er war nicht mehr am Leben. Er verzog die Lippen zu einem Grinsen und nickte. Nein, es gab nur noch sie.
    Doch auf einmal machte sich in seinem Magen ein flaues Gefühl breit. Was, wenn die anderen es nur nicht ernst genommen hatten? Wenn sie sich sagten, dass doch alles nur dumme Jungenphantasien waren, wie man sie aus den Karl-May-Büchern kannte? Oder waren sie vielleicht auch … Er hustete den Rauch der Zigarette aus. Nein, das konnte nicht sein, weil es nicht sein durfte.
    Er dachte nach. Das flaue Gefühl in seinem Magen wurde stärker. Was, wenn die anderen bereits alles durchgezogen hatten? Oder hatten am Ende die Amerikaner … Er würde es heute nicht herausfinden können.
    Unwillkürlich schüttelte er den Kopf und machte sich auf den Rückweg durch das Faulenbacher Tal. Er würde wieder hierher kommen. In genau einem Jahr.

Kluftinger kam bekannt vor, was er sah, als er aus dem Aufzug stieg, und es gefiel ihm ganz und gar nicht. Immer, wenn er mit seinen Kollegen einer besonders »heißen« Sache auf die Spur kam, war es das gleiche Bild: Ein angespannter, schwitzender Lodenbacher lief dann stets schon im Gang auf und ab und erwartete sie. Als er den Kommissar erblickte, stürmte er auf ihn zu und ließ eine niederbayerische Wortkaskade auf ihn prasseln, von der Kluftinger kein Wort verstand.
    »Würden Sie schon mal in mein Büro vorgehen, Herr Lodenbacher, ich muss noch mal ganz dringend wohin. Ich komm dann sofort zu Ihnen, versprochen«, schlug Kluftinger vor.
    Als er die Tür zu seinem Dienstzimmer schließlich öffnete, kam ihm Sandy Henske entgegen und verdrehte die Augen. Er sah, wie seine Mitarbeiter samt Friedel Marx um Dietmar Lodenbacher herumstanden. Der lief gestikulierend zwischen ihnen auf und ab und Kluftinger hörte Worte wie »hoaklig« und »Fingaspitzngfuih«. Das waren die Standardvokabeln seines Chefs bei Fällen, die etwas außerhalb des normalen Polizeialltags lagen.
    »Ah, Herr Kluftinga, sand S’ aa scho do! Jetzad miassen mir amoi schaung, wia ma des hendln.«
    Kluftinger hätte beinahe gelacht bei dieser Mischung aus Englisch und Niederbayerisch, doch im Augenblick schien es ihm ratsamer, möglichst ernst zu bleiben. Er hörte Lodenbacher also aufmerksam zu, nickte dann und wann, bejahte die Frage, ob er es für richtig halte, dass Lodenbacher bereits einen namhaften Historiker hinzugezogen habe, zog sich aber schließlich doch dessen Unmut zu, als er erklärte: »Ich denke, die Nazis haben da oben ein großes Ding laufen gehabt. Und alle, die das heil überstanden haben, waren nicht daran interessiert, dass davon irgendetwas ans Licht kommt.«
    »Jetzt song S’ doch ned Nazis und Heil und soiche Sochn! Des is a hoaklige Sach!«, protestierte Lodenbacher.
    »Ja wie denn dann Ihrer Meinung nach?«
    »Naa, I moan hoid, mia miassn dös mit – wia sogt ma – obsoluter Diskretion oogeh«, wand sich ihr Vorgesetzter. »Es warn ja ned olles … Nazis, domois, ned? Mia woin doch neamand wos oohänga.«
    Kluftinger nickte. Weniger aus Zustimmung, sondern weil er genau wusste, worum es Lodenbacher in Wirklichkeit ging: Er wollte sich mal wieder mit niemandem anlegen. Einige der Menschen, die im Nationalsozialismus herausgehobene Stellungen hatten, verfügten noch immer über

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