Seegrund
Wirtin ein. »Ich hab ihn das auch gefragt. Sein Neffe ist Taucher und er hebt die Sachen nur für ihn auf. Der war auch schon ein paar Mal mit da, der Neffe.«
»Könnten Sie diesen Neffen beschreiben?«, wollte Kluftinger wissen.
»Neffen. Jederzeit. Ich würde ihn auch wieder erkennen«, erwiderte sie eifrig.
»Eugen: Phantombild von dem anfertigen lassen. Da soll dann gleich der Renn Willi jemanden schicken. Ruf ihn bitte nachher an.«
Strobl nickte.
Kluftinger nahm sich nun die beiden Nachtkästchen aus lackiertem Kirschbaum vor. Annemarie Briechle blickte ihm über die rechte Schulter und kam ihm dabei so nah, dass er ihren Atem im Nacken spürte.
»Frau Briechle, wenn Sie uns jetzt bitte allein lassen könnten?«
Kluftingers Ton wurde auf einmal schärfer. Wenn er etwas hasste, dann war es, wenn man seine Individualdistanz unterschritt.
»Ich?«, fragte die Pensionswirtin verwundert nach.
»Ja, Sie. Bitte, könnten Sie uns die Kopie von Ackermanns Ausweis bringen, die Sie gemacht haben, als er hier das Zimmer bezogen hat?«, versuchte Strobl die Situation zu retten.
Mit einem missbilligenden Blick auf Kluftinger verließ sie das Gästezimmer.
Der Kommissar hatte die Zeitschriften, die zuoberst in der Schublade lagen, herausgenommen und stieß darunter auf einen großen, gefalteten Bogen Papier. Auf dem Bett breitete er ihn aus. Es war eine topographische Karte. Eine Karte des Alatsees, das war keine Überraschung mehr für ihn. Auf dem detaillierten Plan waren die Höhenlinien der umgebenden Hänge ganz exakt eingezeichnet, das Ufer war zwar am Rand noch kartiert, der eigentliche Seegrund aber als weißer Fleck dargestellt.
Nicht einordnen konnte Kluftinger die Kreuzchen, Linien und Sternchen, die von Hand auf der Karte vermerkt waren. Sie verliefen von der Straße von Füssen über Bad Faulenbach bis in die weiß dargestellte Wasserfläche hinein.
»Was wollen die alle mit dem alten Schrott, der da unten liegt?«, fragte Kluftinger, wobei er sich von den Kollegen keine Antwort erwartete.
»Frau Marx, wir müssen unbedingt nach dem Ackermann fahnden«, sagte Kluftinger nach einer gedankenversunkenen Pause.
»Das machen wir seit gestern, lieber Kollege«, brummte die Marx. »Seit der Brief bei Karg aufgetaucht ist, das sollten Sie schon noch wissen.«
»Ja … dann jetzt halt g’scheit fahnden, mein ich!«
Sie hatten im Zimmer sonst nichts gefunden. Die Karte hatte Kluftinger wieder zusammengefaltet und eingesteckt. Nun stand er mit Strobl an dem kleinen Tresen im Eingangsbereich.
Friedel Marx war bereits nach draußen gegangen, um »frische Luft zu schnappen«, wie sie grinsend gesagt hatte. Immerhin paffte sie einem wenigstens nicht mehr dauernd die Hucke voll, dachte Kluftinger. Vielleicht hatten seine Beschwerden endlich gefruchtet.
Strobl schlug auf die alte Klingel, die auf der Ablage stand. Wortlos kam kurze Zeit später Annemarie Briechle mit der Kopie des Personalausweises.
»Frau Briechle«, flüsterte Kluftinger in verschwörerischem Ton, wobei er sich diesmal ganz nah zu seiner Gesprächspartnerin beugte. »Sie müssen uns jetzt helfen. Das ist eine sehr sensible Aufgabe, um die ich Sie bitte, aber ich bin mir sicher, Sie können damit umgehen.«
Kluftinger sah an der sich aufhellenden Miene der Wirtin, dass sie angebissen hatte und ihm seinen rüden Ton von vorhin nicht mehr nachtrug.
»Sie müssten uns unbedingt benachrichtigen, wenn Herr Ackermann nach Hause kommt. Rufen Sie uns unbedingt sofort an, hören Sie? Dabei ist aber wichtig, dass Sie sich nichts anmerken lassen. Wir wollen ihn schließlich nicht aus Versehen vorwarnen, nicht wahr?«
Annemarie Briechle schluckte und nickte heftig.
»Wann kommt er denn für gewöhnlich nach Hause?«
Die Wirtin reagierte nicht, sondern sah sie mit großen Augen an.
»Frau Briechle, wann kommt er denn gewöhnlich nach Hause?«
»Ich … der … der kommt meistens so am frühen Nachmittag. Wahrscheinlich, um ein Nickerchen zu machen«, antwortete sie.
»Also«, hob Kluftinger noch einmal an, »wie gesagt, eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe, die Sie da übernehmen. Sie müssen sofort anrufen. Aber keine Angst, Frau Briechle, Ihnen droht keine Gefahr – wenn Sie ihm nichts verraten!«
Wieder nickte die Frau.
Als die drei Polizisten wieder im Auto saßen, sagte Strobl versonnen: »Aber es hätt mich schon noch interessiert, warum das Haus jetzt ›Annerose‹ heißt.«
In Friedel Marx’ Büro herrschte eine bedrückende
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