Seegrund
Stille. Die Beamten fühlten sich zur Untätigkeit verdammt. Kluftinger überlegte, ob er sich gleich noch einmal den Souvenirhändler Appel vorknöpfen sollte, der sich bei der Befragung in seinem Büro so wenig souverän präsentiert hatte. Aber letztlich schien Pius Ackermann der Schlüssel zur Lösung dieses Rätsels, das hatten die Ermittlungen gezeigt.
Der Kommissar massierte sich mit leichtem Druck die Schläfen. In seinem Kopf pochte es, er hatte das Gefühl, nicht richtig denken zu können. Ihm war auch klar, warum: Das kleine Büro seiner Kollegin war vollkommen von bläulichem Dunst erfüllt. Der Aschenbecher auf ihrem Schreibtisch war schon wieder gut gefüllt, obwohl sie erst seit etwa einer Stunde hier waren und bei ihrer Ankunft nur einzelne Zigarillos darin gelegen hatten. Kluftinger bekam kaum noch Luft.
»Ich geh mal raus«, sagte er im Aufstehen und fügte etwas leiser, an Strobl gewandt, hinzu: »Ich glaub, wir sollten uns nachher gleich einer prophylaktischen Chemotherapie unterziehen.«
Obwohl er nur in einen fensterlosen, muffigen Gang trat, hatte er das Gefühl, als ströme frische Waldluft in seine Lungen. Es ärgerte ihn, dass seine Kollegin so wenig Rücksicht auf seine geschundenen Atemwege nahm. Aber sagen wollte er auch nicht dauernd etwas, um nicht als Jammerlappen dazustehen.
Er verschränkte die Arme hinter dem Rücken und schlenderte durch den schmalen Gang. Es sah so aus wie bei ihnen in Kempten: Neonlampen an der Decke warfen hartes Licht auf die gemauerten, nicht verputzten Ziegelwände, wie sie für Zweckbauten der achtziger Jahre typisch waren. Daran hingen einige Plakate, die Fahndungsfotos von Top-Terroristen zeigten. Der Kommissar spazierte auf die Glasvitrinen zu, die am hinteren Ende des Ganges autgestellt worden waren. Er ahnte bereits, was sich darin befand, denn auch in der Direktion in Kempten gab es so etwas: Es war eine Art kleines Museum, ein Sammelsurium kurioser Beweisstücke, Andenken an wichtige oder in irgendeiner Weise bemerkenswerte Fälle, Schriftstücke, Fotos, die nicht nur die Geschichte der jeweiligen Polizeidienststelle darstellten, sondern zusammengenommen auch ein Panoptikum der Kriminalgeschichte im Allgäu abgaben. In Kempten waren neben ein paar Präparaten aus Willi Renns Gruselkabinett auch ungewöhnliche Mordwerkzeuge zu sehen, etwa eine Vorhangschnur und eine Sense, beides Reliquien aus Fällen, die Kluftinger bearbeitet hatte. Regelmäßig jagte ihm der Anblick einer ausgestopften Krähe eine Gänsehaut über den Rücken. Den Vogel hatten sie einmal auf einer Leiche gefunden.
Nun war Kluftinger gespannt darauf, was die Füssener in dieser Hinsicht zu bieten hatten. Er konnte sich an kein wirklich spektakuläres Verbrechen in dieser Stadt erinnern, jedenfalls nicht, so lange er in Kempten Dienst tat. Dementsprechend wenig eindrucksvoll präsentierte sich die Sammlung auch, die neben einem an der Grenze zu Österreich beschlagnahmten Bündel Falschgeld den Schwerpunkt auf eine historische Darstellung der Polizeiarbeit zu legen schien. Ein Paar uralte eiserne Handschellen lagen aus, ein Foto daneben zeigte die erste Mannschaft, die in Füssen Dienst getan hatte.
»He, Sie, das ist fei kein Museum und wir sind auch keine Wärmestube!«
Der Kommissar drehte sich um und sah einen kleinen, unrasierten Mann mit schlampig aussehender Uniform und fettigen Haaren den Gang entlang wuseln. Er musterte Kluftinger misstrauisch und wollte ihn gerade fragen, was er hier verloren habe, da fuhr ihm der Kommissar in die Parade: »Ich g’hör auch zum Verein. Kluftinger, Kripo Kempten.«
Sein Gegenüber bekam große Augen. Peinlich berührt stotterte er: »Ach, so … so hoher Besuch, Kollege Kluftinger. Ich hab ja schon so viel von Ihnen gehört. Mei, dass Sie mal bei uns vorbeischauen. Ich hab jetzt gedacht, wegen Ihrem Aufzug … ich mein …« Er brach ab und sein Kopf lief knallrot an. Ihm schien klar zu sein, dass er sich mit einer Vollendung des Satzes endgültig den Zorn seines Gegenübers zuziehen würde. Er blickte am Kommissar vorbei zu den Glasvitrinen und sagte dienstfertig: »Ach, Sie interessieren sich für unsere Geschichte? Da kann ich Ihnen gerne was dazu sagen, ich habe einige von den Stücken selbst ausgesucht.«
»Nein, danke, ich schau nur ein bissle rum«, antwortete Kluftinger kurz und ehrlich und mit den gleichen Worten, mit denen er sich in Kaufhäusern aufdringliche Bedienungen vom Leib hielt. Nach einer Führung durch diese
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