Seehaie
Qualle leckte sich die Lippen, als
er sein Besteck aus der Hand legte.
Natürlich – wie sollte es anders sein – kreiste das
Gespräch ausschließlich um den Müllkönig und seine Mafia. Dabei erfuhr Wolf
erstmals von dem Brandanschlag auf Qualles »Werkstatt«, in dessen Folge sich
der Dicke eine andere Bleibe suchen musste. Als Karin Winter jedoch auf Qualles
Rolle bei der illegalen Datenbeschaffung zu sprechen kam, wehrte Wolf
entschieden ab. »Nee, Leute, behaltet die Details lieber für euch, ich will und
darf das nicht wissen. Auch wenn ich zugeben muss, dass wir ohne Qualles Spürnase
heute nicht da stünden, wo wir sind.«
»Ooch«, wehrte der schnaufend ab und lehnte sich
zurück, als bereite er sich auf eine längere Geschichte vor. »So was gehört zu
meinen leichteren Übungen. Gestern zum Beispiel …«
»Qualle, ein Pudding gefällig?«, fuhr Karin Winter
gerade noch rechtzeitig dazwischen, ehe er sich in elektronischen Details
ergehen konnte.
»Du hast es nicht vergessen?« Seine Augen leuchteten
auf.
»Wie sollte ich. Eine Frau, ein Wort – wenn auch ein
paar Tage zu spät, ich bitte um Vergebung. Erdbeer oder Vanille?«
»Wunderbar – genau in dieser Reihenfolge.«
»Für Sie, Herr Wolf, habe ich ein ganz spezielles
Dessert. Kann allerdings noch ein bisschen dauern.« Sie öffnete zwei der
Kartons und reichte Qualle, zusammen mit einem Löffel, die gewünschten Becher.
Während Wolf sich noch einen Pastis genehmigte, glaubte
er, von irgendwoher ein Brummen zu hören. Als das Brummen mit einem Piepton
abschloss, stand Karin Winter auf und ging nach nebenan. Bei ihrer Rückkehr
wedelte sie mit einem Blatt Papier herum, das sie schließlich vor Wolf
hinlegte.
»Voilà, Ihr Dessert, Monsieur. Ein Fax von unserer
Technik. Dieser Artikel steht morgen früh im ›Seekurier‹. Sollten Sie lesen.«
Wolf warf zunächst nur einen flüchtigen Blick auf den
Text. Doch schon die Schlagzeile nahm ihn gefangen: »Baudezernent an der Grenze
verhaftet«, las er. Sollte das etwa …? Er las den Text zu Ende, dann noch
einmal und vergaß währenddessen völlig seine Umgebung. Endlich legte er das
Blatt zur Seite.
Nein, es gab nicht den geringsten Zweifel: Zollbeamte
hatten Siebeck verhaftet. Sehr gut! Offenbar war Siebeck beim Grenzübertritt in
die Schweiz am Übergang Ramsen von deutschen Zöllnern gefilzt worden. Dabei hatten
die Beamten in seinem Köfferchen Bargeld in Höhe von 275.000 Euro
sichergestellt. Da Siebeck nicht nur keine plausible Erklärung für die Herkunft
des Geldes hatte, sondern auch sonst wenig kooperativ war und sich im Gegenteil
zu einigen deftigen Beamtenbeleidigungen hinreißen ließ, war er schließlich
festgenommen und in die Justizvollzugsanstalt Konstanz verbracht worden. Das
würde ihre Anschlussermittlungen erheblich beschleunigen, dachte Wolf mit
Genugtuung.
»Zufrieden mit dem Nachtisch?«, fragte Karin Winter.
»Aber klar doch. Läuft runter wie Öl. Leider regeln
sich die Dinge nicht immer so glatt.«
»Stimmt! Manchmal muss man ein kleines bisschen
nachhelfen, nicht wahr, Qualle?« Die beiden sahen sich an wie zwei Verschwörer
und konnten ein Grinsen nur mit Mühe unterdrücken.
»Moment mal!« Wolf war alarmiert. »Was soll das
heißen? Habt ihr etwa …?« Voll böser Ahnungen brach er mitten im Satz ab.
»Wir haben !«, antwortete
Karin Winter, wieder ernst geworden. »Möge uns die Obrigkeit verzeihen. Ein
klitzekleiner Tipp, zum richtigen Zeitpunkt an die richtige Stelle, mehr
nicht.«
»An wen?«
»An den Zoll.«
»Haben Sie zu denen etwa auch heimliche Kontakte?«
»Herr Wolf … von solchen Verbindungen lebe ich! Ich
könnte beruflich einpacken, wenn ich nicht die unterschiedlichsten Quellen
anbohren würde.«
»Schön zu hören, dass ich für Sie eine Quelle bin. Ich
hoffe, ich habe ausreichend gesprudelt.«
»Sie wissen genau, dass ich Sie nicht als Informanten
betrachte. Na gut, zumindest nicht nur . Im Übrigen
war das Ganze keine Einbahnstraße, möchte ich in aller Bescheidenheit anfügen.
Aber sollen wir uns an so einem erfolgreichen Tag wirklich darüber streiten?«
Wolf musste kurz schlucken, ehe er sie ansah.
»Natürlich haben Sie recht, lassen wir das«, sagte er versöhnlich.
»Prost, Gemeinde!« Qualle hob sein Glas, und Wolf und
Karin Winter taten es ihm nach.
»Trotzdem, wenn Sie dem Zoll einen Tipp gegeben haben – das heißt doch, Sie haben gewusst, dass Siebeck über die Grenze geht. Mit
Geld. Und am Übergang Ramsen!
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