Seehaie
Im
Laufe der Jahre hatte sich zwischen ihnen ein enges freundschaftliches
Verhältnis entwickelt. Und da er wusste, wie treu ihm sein Adlatus ergeben war,
durfte dieser jederzeit straflos ein offenes Wort riskieren.
»Könnte man so sagen«, antwortete Hohmann
nachdenklich. »Ich vermute, deine diskreten Nachforschungen haben noch nichts
ergeben?«
»Sonst wüssten Sie’s bereits.«
***
Wolf hatte neben seinen beiden Mitarbeitern
auch Marsberg zur großen Lagebesprechung in sein Büro gebeten. Dort saßen sie
jetzt – bis an die Zähne mit Kulis und Blocks bewaffnet, wie Kalfass sich
martialisch auszudrücken pflegte. Wolf hatte nach seiner Rückkehr aus Singen
verschiedene Telefonate geführt und sich Notizen gemacht. Er hatte sogar, ganz
gegen seine sonstige Gewohnheit, Kaffee gekocht – eine unbedachte
Routinehandlung, denn eigentlich wäre ein eisgekühlter Tee bei den herrschenden
Temperaturen angebrachter gewesen.
»Wie hat die Witwe die Nachricht vom Tod ihres Mannes
aufgenommen?«, leitete Wolf die Besprechung ein. Diese undankbare, für die
meisten Beamten sogar belastende Aufgabe hatte er diesmal Ludger und Jo
übertragen. Irgendwann mussten sie es sowieso lernen, warum also nicht jetzt?
Die Blondine, davon war er überzeugt, würde es ihnen nicht allzu schwer machen.
»Hat’s mit Fassung getragen«, antwortete Kalfass denn
auch prompt und zog ein Gesicht.
»Stimmt, sie blieb ganz cool«, bestätigte Jo. »Der
Hammer aber war der Sohn. Er hätte einen Termin, sagte er und verschwand, ohne
eine Regung zu zeigen.«
Wolf starrte gedankenverloren die Zimmerdecke an. Dann
machte er Anstalten, seine Rauchbomben aus der Tasche zu ziehen.
»Verschon uns bitte, Leo«, sagte Marsberg, worauf er
sie seufzend wieder einsteckte.
»Eine feine Familie«, brummte Wolf. »Vielleicht
sollten wir uns fragen, woher diese Gefühlskälte kommt?«
»Ich wette tausend zu eins, dass das Klima innerhalb
der Familie eng mit dem Mord zusammenhängt«, sagte Jo. »Ich meine, dass es so
eine Art Wechselbeziehung gibt zwischen dem Verhalten oder Tun des Vaters und
der Gleichgültigkeit, der Abgebrühtheit, ja sogar dem Hass der übrigen
Familienmitglieder untereinander, wenn ihr versteht, was ich meine.«
»Psychologische Spitzfindigkeiten …«, winkte Kalfass
ab.
»Nein, nein, da ist durchaus was dran«, sagte Wolf und
wunderte sich wieder einmal über Jos Einfühlungsvermögen. »Und dieses Verhalten
oder Tun des Vaters hat in letzter Konsequenz zu seinem gewaltsamen Tod
geführt. Nur: Was war der eigentliche Auslöser? Was könnte ihn von seiner Frau
und seinem Sohn dermaßen entfremdet und gleichzeitig seinen Mörder provoziert
haben? Es muss mit den Vorgängen auf der Corso-Baustelle zusammenhängen.«
»Das ist doch alles an den Haaren herbeigezogen. Ich
würde das stärkste Mordmotiv nach wie vor bei Hohmann suchen. Es muss für ihn einen gravierenden Anlass gegeben haben, sich
dieser Leute zu entledigen. Den müssen wir finden.
Jedenfalls, wenn er so weitermacht, steht seine Firma bald ohne Mitarbeiter
da.« Kalfass hatte sich in Rage geredet.
Wolf wiegte bedächtig den Kopf. »Im Gegenteil. Kupkas
Tod ist der Beweis, dass Hohmann nicht unser Mann sein kann .
Er weiß, dass wir ihn auf dem Kieker haben. Und er ist nicht so dumm, in dieser
Situation etwas zu riskieren.«
»Was könnte Ploc, Juratovic und Kupka verbinden? Wer
zieht einen Nutzen aus ihrem Tod? Oder anders gefragt: Was haben wir bisher
übersehen?« Jo kaute auf ihrer Unterlippe.
»Da muss irgendwo irgendetwas gewaltig aus dem Ruder
gelaufen sein – etwas, das nur mit dem Gegenwert von drei Menschenleben zu
reparieren war«, überlegte Marsberg.
Kalfass ließ nicht locker. »Gut, wenn nicht Hohmann –
wer dann? Wen haben wir noch auf der Liste?«
»Zugegeben, nicht viele. Aber wir haben jemanden, über
dessen Rolle wir uns noch nicht im Klaren sind, jemand, der Hohbau-Mitarbeitern
Anweisungen gibt, aber von allen Beteiligten verleugnet wird. Ich werde Hohmann
also auf alle Fälle nach diesem ominösen Starek ausquetschen. Was haben
eigentlich deine Recherchen diesbezüglich ergeben, Ludger? Was sagt unser
Computer über den Mann?«
»Das Problem ist, dass ich nicht weiß, um welchen
Starek es sich handelt. Es gibt nämlich drei mit dem Vornamen Bruno: einen Automechaniker
in Radolfzell, einen städtischen Angestellten in Stockach und einen
Objektberater aus Konstanz. Alle drei sind Deutsche mit einwandfreiem
Führungszeugnis.«
»Das ist
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