Seehaie
Dieser Stelle
würde sich die Spurensicherung besonders annehmen müssen.
Sorgfältig untersuchte er die Stämme und Zweige direkt
am Waldrand auf Knicke oder Schabspuren. Nichts! Wieder einmal bestätigte sich,
was er seit Langem wusste: Die Täter gingen mit äußerster Sorgfalt zu Werke.
Gerade hatte er beschlossen, sich zurückzuziehen, da hörte er den an- und
abschwellenden Ton von Polizeisirenen. Mehrere Fahrzeuge, einige davon mit
Blaulicht, bogen von der Straße auf das Schrebergelände und nahmen Kurs auf
Kupkas Blautanne. Höchste Zeit für Wolf, wieder nach unten zu fahren.
Er hatte die kleine, flach getretene Lagerstelle des
Schützen bereits passiert, da stutzte er. Ein kaum wahrnehmbarer Fleck am Boden
hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Er ging einen Schritt zurück und bückte sich
suchend. Tatsächlich, hier war es: ein kleines, etwa zwei mal zwei Zentimeter
großes Stückchen Karton, an einer Seite ausgefranst, wahrscheinlich irgendwo
abgerissen. In der Größe und in der Farbe passte es sich beinahe vollkommen dem
Fleckenmuster des Waldbodens an. Es war eher die exakte quadratische Form
gewesen, die ihm aufgefallen war und auf die sein Unterbewusstsein reagiert
hatte.
Er fasste in seine Hosentasche und zog einen der
kleinen transparenten Kunststoffbeutel heraus, die er für solche Fälle immer
mit sich führte. Er stülpte ihn um, steckte zwei Finger hinein und nahm das
mögliche Beweisstück sorgfältig auf. Zum Schluss bohrte er an der Fundstelle
einen Zweig in den Boden. Dieser würde später von der Spurensicherung durch
eine Nummerntafel ersetzt werden.
***
»Hat
sich Kupka gemeldet?«, fragte Hohmann. Er stand in der offenen Tür des
Tagungsraumes und sah ungeduldig zu Frau Jonas hinüber, die sein Vorzimmer
managte.
»Nein, tut mir leid. Seine Frau hat gesagt, er habe
sich in seinen Garten verzogen.«
»Was ist mit dem Handy?«
»Das hat er dort nie dabei.«
Hohmann murmelte etwas Unverständliches und verschwand
wieder im Tagungsraum.
Wieso musste sich Kupka ausgerechnet heute freinehmen?
Er war rechtzeitig über den Besprechungstermin informiert worden. Die ständigen
Konflikte mit dem Architekturbüro konnten so nicht weitergehen. Stiller und
seine Leute nahmen sich in letzter Zeit etwas viel heraus, und da sie besonders
oft mit Kupka zusammenrasselten, durfte gerade der nicht fehlen, wenn es um
eine für beide Seiten akzeptable Lösungsstrategie ging.
Hohmann blickte in die Runde. Dort saßen zwei weitere
Vorarbeiter neben dem Einkaufschef, dem Hohbau-Sicherheitsbeauftragten und Paul
Göbel, seinem Fahrer und langjährigen Intimus.
»Mit Kupka ist heute nicht zu rechnen«, brummte
Hohmann. »Wir verschieben die Sitzung. Ich lasse euch verständigen, sobald –«
Ohne anzuklopfen war Frau Jonas eingetreten und
versuchte, Hohmann auf sich aufmerksam zu machen.
»Was ist denn?«, fuhr er sie an.
»Chef … da war eben ein Anruf … es geht um Kupka …«
Sie stockte.
»Nun reden Sie schon, sonst sitzen wir morgen noch
hier!«
»Kupka … Kupka ist tot!«
Hohmann starrte sie an. »Was faseln Sie da? Ich bin
wirklich nicht zu Scherzen aufgelegt, Frau Jonas.«
Inzwischen schien sich die Sekretärin etwas gefasst zu
haben. »Kupka wurde in seinem Garten erschossen. Eben hat die Polizei
angerufen, dieser Hauptkommissar Wolf. Er wird später vorbeikommen und bittet
Sie, ihm zur Verfügung zu stehen.«
Den Anwesenden hatte es regelrecht die Sprache
verschlagen. Schließlich gab sich Hohmann einen Ruck und stand auf. »Die
Sitzung ist beendet.« Während sich die Sitzungsteilnehmer erhoben, fügte er
hinzu: »Und bis auf Weiteres kein Sterbenswörtchen über das, was Sie eben
gehört haben, zu niemandem. Ich verlass mich drauf.« Dann wandte er sich an
seinen Fahrer. »Paul, dich brauche ich noch.«
Paul Göbel trank sein Mineralwasser aus, während die
anderen Mitarbeiter den Raum verließen. Hohmann stand am Fenster, die Hände auf
dem Rücken verschränkt. Er blickte mit ausdrucksloser Miene auf den Ladeplatz
hinab.
»Sag Wiegand Bescheid, Paul. Der muss wissen, dass er
mit Josef Kupka nicht mehr rechnen kann. Und leg auch ihm ans Herz, die
Geschichte vorläufig unter der Decke zu halten.«
»Geht klar, Chef.«
In das nachfolgende Schweigen hinein fragte Hohmann
plötzlich: »Was geht hier eigentlich vor? Verstehst du das, Paul?«
»Hmm … Sieht so aus, als wären Sie nicht mehr der Herr
im eigenen Haus, Chef.«
Hohmann drehte sich um. Er ahnte, was Göbel meinte.
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