Seehaie
dem
Aussichtsdeck. Es war der zweite kühle Tag in Folge, und während Kalfass und Jo
den bevorstehenden Einsatz durchsprachen, sog Wolf die frische Seeluft tief in
seine Lunge und fühlte sich mit jedem Atemzug ein bisschen besser. Beim Anlegen
der Fähre war er schon fast wieder der Alte, und als sie Stareks Haus
erreichten, waren seine Kopfschmerzen wie weggeblasen.
Wolf kam das Gebäude fast noch eleganter vor als beim
letzten Mal. Es lag auf einer Halbinsel zwischen Konstanz und Staad. Die
Rückseite grenzte an den Lorettowald, in unmittelbarer Umgebung gab es eine
Menge Freizeiteinrichtungen, und zwischen den gediegenen, teils alten Häusern
blinkte immer wieder der See hindurch. Starek musste, soweit sich aus der
Wohnlage das Einkommen der Leute ablesen ließ, eindeutig zu den Gutverdienenden
gehören.
Kalfass stellte den Dienstwagen direkt vor dem Eingang
ab. Während Wolf in Anbetracht seines Katers den Lift nahm, mühten sich Jo und
Kalfass die Treppe hoch. An der Tür zu Stareks Penthousewohnung trafen sie
wieder zusammen. Etwas übereifrig zog Kalfass seine Dienstpistole und
entsicherte sie, doch Wolf schüttelte nur den Kopf. Daraufhin steckte er sie
wieder zurück.
Wolf schellte, doch nichts rührte sich. Ungeduldig
drängte sich Kalfass nach vorne und pochte laut an die Tür. Zu ihrem Erstaunen
bewegte sie sich. Ein schmaler Streifen Licht fiel vom Treppenhaus in die
Wohnung, und nun sahen sie auch die Beschädigungen am Türschloss. Jemand hatte
sich mit Gewalt Einlass verschafft. Das war irgendwie grotesk, eine Ironie des
Schicksals: Starek, der vermutliche Täter, der, wenn sich ihr Verdacht
bestätigte, sogar Menschenleben auf dem Gewissen hatte – ausgerechnet er in der
Rolle des Opfers?
Wie auf Kommando zogen nun alle drei ihre Waffen. Wolf
setzte sich an die Spitze. Mit Schwung drückte er die Tür auf und tat, seine
Walther P99 im Anschlag, mehrere schnelle Schritte nach innen, dicht gefolgt
von seinen ausschwärmenden Kollegen. Im Flur und im angrenzenden Wohnraum, den
sie bereits kannten, hielt sich niemand auf. Wenige Sekunden später hatten sie
auch die restlichen Räume durchsucht – das Penthouse war verlassen. Doch wer
hatte hier gewütet? Das Durcheinander erinnerte an einen Bombenangriff:
Schränke und Schubladen standen offen, alles war wahllos herausgerissen und auf
den Boden geworfen worden. Die Täter hatten ganze Arbeit geleistet.
Noch während Wolf sich einen Reim darauf zu machen
versuchte, ertönte hinter ihrem Rücken plötzlich eine Stimme: »Darf ich fragen,
was Sie hier suchen?«
Alle drei schnellten herum. In der Eingangstür stand
ein kräftiger junger Mann in Sportkleidung, auf dem Kopf eine Baseballmütze, um
den Hals ein Handtuch.
Wolf trat auf ihn zu und zückte seinen Dienstausweis.
»Wolf, Kripo Überlingen. Das sind meine beiden Kollegen.« Er nannte die Namen.
»Und wer sind Sie?«
»Heinze. Ich wohne nebenan.«
»Können Sie sich ausweisen?«
»Klar. Wenn ich kurz in meine Wohnung gehen darf.«
»Tun Sie das. Frau Louredo wird Sie begleiten.«
Wenig später standen beide wieder vor ihm. »Alles in
Ordnung«, meinte Jo.
»Ist Ihnen in der Nacht oder heute Morgen etwas
aufgefallen?«, fragte Wolf den jungen Mann. »Haben Sie Starek gesehen oder
Geräusche gehört? So was hier«, dabei umfasste er mit einer Armbewegung das
Durcheinander des Raumes, »geht ja schwerlich unbemerkt über die Bühne.«
»Klar haben wir Geräusche gehört …«
»Wer ist wir?«, unterbrach ihn Jo.
»Meine Freundin und ich, wir wohnen zusammen. Wissen
Sie, bei Starek ist ständig was los, wir achten da gar nicht mehr drauf.«
»Wann genau haben Sie die Geräusche gehört?«
Er überlegte. »So um Mitternacht, kurz davor, würde
ich schätzen.«
»Gut. Kann sein, dass wir Sie noch mal brauchen.
Vielen Dank einstweilen.« Damit entließ er den Mann.
Kalfass sah Wolf fragend an. »Fahndung, Chef?«
»Nein, noch nicht. Ich hab da so eine Idee …«
»Jedenfalls muss die Spurensicherung her«, sagte Jo
mehr zu sich selbst und holte ihr Handy heraus. Wolf nickte. »Aber bitte die
Konstanzer Kollegen. Und sag ihnen, dass wir hinter Starek her sind und erst
später wieder in die Wohnung kommen.«
»Was mögen die gesucht haben?«, überlegte Kalfass.
»Wir werden’s erfahren. Irgendwann. Viel interessanter
ist, dass sie es – was immer es war – nicht gefunden haben.«
»Äh … woraus schließen Sie das?«
»Schau dich um. Kein Raum, kein Möbelstück, in dem
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