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Seehamer Tagebuch

Seehamer Tagebuch

Titel: Seehamer Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Nadolny
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Geburtstagstisch — die kleinen zu zehn Pfennig —, die über alle Geschenke krochen, die weißen Strümpfe, die Lackschuhe, die Feierlichkeit... Ja, Mauseschwanz, nun bist du schon sieben...)
    Ich würde ja überhaupt nicht backen, aber meine Männer haben so gern einen Anlaß, Torte zu essen. Meist stoßen gerade dann Menschen zu uns — es hat sein Gutes, denn dann wird der Rest Torte nicht sauer, aber auch etwas Peinliches, ihnen zu erklären, warum die Torte auf dem Tisch steht, und sich als Fest-Ochse zu bekennen.
    In anderen Häusern sind Geburtstage Feste, die zu feiern sich lohnen. Ich weiß nicht, wann über unseren Geburtstagen ein Unstern aufging. Nun sind es schon Jahre, daß sich die Familie am Vorabend eines solchen Festes mit den bedeutungsvollen Worten verabschiedet: »Na, nun wollen wir mal sehen, was morgen wieder passiert.«
    Mit Dickis Geburtstag fing es an. Irgendwann im Dunkel der Nacht hatte sich in unser Wasserreservoir auf dem Boden droben ein kleines Rostlöchlein gefressen, und um vier Uhr früh an einem Sommermorgen ergossen sich vierhundert Liter Wasser durch unser schlafendes Haus. Das Geburtstagskind, nunmehr sieben Jahre alt, hatte wohl einen Augenblick gedacht, wir hätten eine besondere Überraschung vorbereitet, und fuhr alsbald entsetzt aus seinen Decken. Michael, struppig aber entschlossen, drehte alle Wasserhähne auf, damit die Fluten noch einige weitere Auswege hätten, und schleppte die Bücher aus den Regalen ins Trockene.
    Gegen sieben Uhr lief ich in die Küche und riß den Bodenbelag heraus, um nachher dort in Ruhe schöpfen und wischen zu können.
    Diesen Bodenbelag hätte ich schätzungsweise fünf Jahre früher herausreißen sollen. Mittlerweile war die Diele darunter verfault, gab prasselnd nach, und ich stand bis zu den Knien im Souterrain, wenn man das bei uns so nennen darf. Noch während die Kerzen um Dickis Kuchen brannten, war Michael damit beschäftigt, mir mit Vergrößerungsglas und Pinzette einige Dutzend Splitter besten Fichtenholzes aus den Waden und Schenkeln zu entfernen. Da fast unsere gesamte Einrichtung im Garten trocknen mußte, kam ich bei den Seehamern in den Ruf einer exorbitanten Hausfrau, die es beim Stöbern besonders genau nahm. (Das tat mir wohl.)
    Am Tage vor Papas Geburtstag hatten endlich die Handwerker einmal Zeit, etwas längst Fälliges im Hause in Angriff zu nehmen. Wieder hatten wir mehrere Wochen lang Rührstücke vor ihnen aufführen müssen. Der Werkzeugkasten, über den die Gäste auf dem stillen Ort so viel gelacht hatten, sollte in die Wand eingelassen werden. Schon als ich diesmal die Torte ins Wohnzimmer trug, brach die Mauer, die Ziegel donnerten auf der anderen Seite in das sowieso von allen Göttern verlassene Bad und verbeulten das bißchen Schönheit, das unserer Blechwanne noch geblieben war.
    Am Vorabend meines dreißigsten Geburtstages hatte Michael beschlossen, es müsse Außergewöhnliches geschehen (Geplantes, diesmal), und wir fuhren zu Freunden, um altmodischen Dingen zu huldigen wie Theaterstücklesen oder Lieder von Schubert am Klavier singen. Spät nachts kamen wir heim. In der Diele lag ein Zettel (Wie lieb doch von den zweien, Papa und Dicki, mich als erstes mit einem Glückwunsch zu erfreuen!), darauf stand mit Blockschrift: »Liebe Mami, der Gestank kommt davon, weil wir die Miezi aus Versehen in Deinem Zimmer eingesperrt hatten. Opa hat Deine Steppdecke schon draußen über die Wäscheleine gehängt. Gratulier Dir auch schön.« Gestern ist nichts passiert. Vielleicht wird das Koboldtreiben nachgeliefert.
     
     
     

28. Mai
     
    Kaum schaute die Sonne heraus, ließen wir alle drei die Arbeit fallen und fuhren in das »Bayern vor 1912«. So heißen bei uns die Dörfchen ohne Fremdenverkehr, abseits von Berg und See, zu denen man nur über Bauernwege kommt, jeder von uns darf einmal wählen, ob es am Kreuzweg links oder rechts weitergehen soll. Schön ist es überall. (Wie sagte die Prinzessin in meinem Märchenbuch: »Im Lande nebenan sind die Pfannkuchen viel gelber!«)
    Auf einer waldigen Flöhe stießen wir auf ein Schloß, über dessen Portal ein Wappen mit der Leiter der Scaliger angebracht war! Wie kamen die Scaliger aus Verona hierher? Meine Männer zogen sich vor dem Schild Privatbesitz wohlerzogen zurück. Ich zerrte, zitternd vor Schüchternheit und Angst (Warnung vor dem Hunde!) am rostigen Glockenzug. Es kläffte mehrstimmig. Von drinnen erscholl eine Stimme: Nur herein. Es war jedoch nicht

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