Seehamer Tagebuch
sagen meine Männer, zu viel, nämlich, daß ein technisches Gerät immer und unter allen Umständen funktioniert (was ich von mir niemals verlangen würde). Tut es das nicht, bin ich persönlich beleidigt.
Dann aber nahmen meine Männer das Ding in Schutz. Wenn ein fast nagelneuer Wagen auf lebhafter Kreuzung stehenbleibt und ekelhafte Rucke tut, als wolle er sich übergeben, so scheint ihnen »Dreck im Vergaser« eine hinreichende Entschuldigung. Mir nicht. Auch nicht »Sandkorn im Ansaugventil« für eine Pumpe, die nicht mehr Wasser fördern will oder »ein winziges Loch in der Ölleitung«, wenn der Ölofen leckt und stinkt. — Und noch jetzt, in einem Alter, in dem ich der Jugend ein Beispiel sein sollte, erwische ich mich dabei, daß ich gelegentlich wütend mit dem Fuß nach etwas Nicht-funktionierendem trete, obwohl es ein empfindliches Gewinde hat, und mit dem Hammer auf etwas draufschlage, obwohl es Gußstahl ist. Ich lerne es nicht mehr.
13. Juni
Hatten wir wirklich sechs Wochen Regen und Kälte? — Seit es heiß ist, streben täglich endlose Züge von Menschen zum See, alle an unserer Hecke vorbei. Ich in meinem Liegestuhl dahinter höre viel. Mehr, als ich will. Solange die Leute ihr Bad noch vor sich haben, sind ihre Unterhaltungsbruchstücke angesichts des blauen Sees ein freudiges, optimistisches Crescendo. Sie lachen überlaut, sie reden mit ihren Kindern ein albernes Duzi-Duzi-Deutsch. Sie möchten — man merkt es — die Welt umarmen. Und am Spätnachmittag kommen sie zurück. Die Kinder sind nun sonnenmüde und quengelig. Sehr viel Geduld haben auch die Eltern nicht mehr. Und wenn zwei Frauenspersonen hintereinander den Fußweg entlangmarschieren, dann höre ich aus ihren Wechselreden, daß sie plötzlich nicht nur den heißen, staubigen Heimweg vor sich sehen, sondern auch Urlaubsende und hohe Rechnungen, Krankheiten und Alter, Alleinsein, Ungerechtigkeit und Verständnislosigkeit der Welt. Sie ahnen nicht, was sie alles verraten.
15. Juni
Das Getreide blüht und duftet wundervoll, nach Brot und Blumen zugleich. Es steht höher als ein Mann und hat — besonders der Roggen — ein melancholisches Blaugrün, wie Fische, die man tief drunten im Wasser verschlafener Schloßteiche sieht.
16. Juni
Unser Bandgerät, das so getreulich all unsere Lieblingskonzerte unter den verschiedensten Dirigenten aufgenommen, Auszüge aus Büchern und lange Vorträge registriert hat, dient seit gestern einem besonderen Sport. Wir produzieren ein Hörspiel selber — nach erhabenen Vorbildern. — Das Wichtigste dazu ist unser Wäschekorb. Wenn man seinen Deckel langsam öffnet, dann quietscht, knarrt und jault er derart unheimlich, daß einem sofort die Szenen in den Gruselfilmen einfallen, wo etwa ein einäugiger Buckliger aus einem schummerigen Bodenraum tritt. (Wir wollten den Wäschekorb schon Hitchcock zum Kauf anbieten, der hätte Freude dran, aber wir fürchteten Zollschwierigkeiten.) Ferner benutzen wir den alten Küchenwecker, den wir auf einen leeren Marmeladeeimer setzen. Dort tickt er gehetzt, überlaut und gequält. Man wartet auf einen gellenden Schrei. Der kommt auch noch. Dickis Gummistöpselpistole ist ganz gut, macht aber einen zu matten Knall. Was noch: ein Kamm mit Seidenpapier umwickelt, einige in verschiedenen Stimmlagen aufgesagte Gedichtzeilen, elektronische Musik aus Studiosendungen, das Tuten des Telefons bei abgehobenem Hörer.
Wir fangen ja erst an. Bei unserem gestrigen Versuch sind die ganzen Vorbesprechungen mit auf das Band geraten, weil wir zu früh das Mikrophon eingeschaltet hatten. Das ist die beste Fassung bis jetzt.
Ich würde das Ding ja gern zum Festival für zeitgenössische Kurzopern schicken, aber seit es in München diesen Skandal gegeben hat, mit Kunst, die nicht Kunst war, sondern nur Leute verulken sollte, trau ich mich nicht. Womöglich bekäme es einen Preis.
18. Juni
Ein Fachmann ist gekommen und hat uns zu unserem »Hörspiel« das Wichtigste gesagt, nämlich den Titel. Es soll heißen: »Studie römisch Drei mit zwei Akzenten. Unter Mitwirkung des Instituts für Molkereigeräusche. Es dirigiert...« (Wir müssen noch eine Berühmtheit dazu finden.)
19. Juni
Die dreizehn Schuljahre unseres Jungen sind zu Ende. Waren sie eigentlich lang oder kurz? Es ist so viel geschehen seit dem Tag, an dem wir ihm die umgearbeitete alte Aktentasche als Ranzen umhängten. Seine Reife in
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