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Seehamer Tagebuch

Seehamer Tagebuch

Titel: Seehamer Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Nadolny
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hinter dem Zugbrückenbrett. Daß Späne dort fallen, wo gehobelt wird, ist klar, und selbst eine gute Hausfrau würde sich damit abfinden. Doch leider stehen im gleichen Raum meine Bettkiste und der Mottenkoffer. Wenn ich aus einer von beiden etwas eilig brauche, und bei uns ist immer alles eilig, weil der Krieg uns so viele Jahre gekostet hat, dann muß ich drei Zentimeter hoch Sägemehl wegpusten und ein kaputtes Luftgewehr, eine halbfertige Fuchsfalle und einige abgebrochene Laubsägen abräumen, ehe ich die Deckel öffnen kann.
    In dieser wie in ähnlichen Situationen fällt mir der indische Gott Ganesha ein, der einen Elefantenkopf hat. Vielleicht haben die Gelehrten nicht richtig hingeschaut, und er ist gar nicht der Gott der Weisheit, sondern der der Hausfrauen. Wenn ich beide Hände voll habe, bräuchte ich nichts nötiger als einen Rüssel vorne am Kopf, um damit zu öffnen, zu schließen und wegzuwälzen. (Über dem rechten Stoßzahn hätte ich praktischerweise gleich einen Lappen hängen, denn ich möchte das Zimmer sehen, in dem ich ihn nicht, soeben eingetreten, sofort brauchte...)
    Es hat nicht an Versuchen gefehlt, mir eine jener wackeren Frauenspersonen beizugesellen, die früher in der Elisabethstraße dreimal wöchentlich in die Wohnung kamen, damit die Mädchen sich nicht überanstrengten. Seit damals hat sich vieles geändert. Es hat das Odium von etwas Ehrenrührigem angenommen, »anderen Leuten den Dreck wegzuputzen«. Selbst Frauen, die das Schicksal in das abgelegene Seeham gespült und hier recht wenig beschäftigt auf Strand gesetzt hat, tun es nur ganz selten. Wir konnten immerhin ein paar ihrer gängigsten Typen durchprobieren. Der einen fehlte ein warmer Wintermantel, der anderen eine Steppdecke, und so kamen sie für ein Weilchen. Manche konnten nur zu Tageszeiten, die für den Haushalt so störend waren wie ein Nagel im Schuh für eine Bergtour. Einige waren fröhlich und gingen meinen Männern dadurch auf die Nerven, daß sie beim Abwischen der Türfüllungen mehrstrophige Lieder sangen, manche wieder von säuerlicher Gemütsart, und die gingen mir auf die Nerven. Ich glaubte mich bei jedem Teppich dafür entschuldigen zu müssen, daß überhaupt etwas draufgefallen sei, und litt unter der Dürftigkeit meines Handbesens. Wieder andere brachten minderjährige Kinder mit. Sie waren zunächst still, wurden dann weinerlich und mußten mit Zwieback beschwichtigt werden, dessen Krümel auf den frischgefegten Böden besser Platz hatten als vorher.
    Kurz nach Weihnachten jedoch fanden sie alle einen Grund wegzubleiben. Das heißt, den Grund fand ich. Sie blieben einfach weg. Nach Tagen, Monaten, vielleicht Jahren erfuhr man, daß ihre Rente erhöht wurde, daß ihnen der Weg zu weit war oder daß sie das Geschäft als unlohnend empfanden und nur in Häuser gingen, wo sie täglich putzen durften.
    Mit einer, die froh ist, daß sie nur einmal wöchentlich zu kommen braucht, sind wir noch — schweig still mein Herze — in den Flitterwochen. Ein endgültiges Urteil liegt somit noch nicht vor.
    Heute, wo wir doch nur mehr zu zweit sind (könnte ich, um den Preis der damaligen chaotischen Zustände, die Zeit zurückdrehen, ich täte es!) und es ganz leicht sein müßte, Hochglanz zu erzeugen und zu erhalten, heute ist es das Haus selber, das sich bockig allen Politurversuchen widersetzt. — Von dem auf der Reise Wahrgenommenen angeregt, versuche ich seit gestern wieder, unsere Böden mit Bohnerwachs so zu pflegen, daß sie den Böden guter Hausfrauen zu ähneln beginnen. Da die meisten Dielenbretter aufgerauht sind, ziehe ich mir dabei stets Splitter in die Finger, die nachts in Umschlägen und Gummifingerlingen wieder herausschwären müssen. Tags darauf gibt es an der Maschine sinnentstellende Tippfehler, und es kommt vor, daß Michael bei der Durchsicht einer unendlich traurigen Szene schallend loslacht. Nur einmal, vor Jahren, hatte ich, als ein Sender ein Hörspiel von Michael wiederholte, eine Anwandlung von schrillem Übermut und fragte einen Fachmann, was es wohl kosten würde, im Wohnzimmer Parkett zu legen. Dabei bekam ich die Auskunft, daß in einem nicht unterkellerten Holzhaus sich die Bodenfläche zusammenzieht und ausdehnt, so daß sich spätestens nach dem ersten Winter die Parkettriemen als Schollen türmen würden, wie Polareis. In unserer Familie ist es üblich, eine solche Wendung der Dinge mit dem Bemerken »Schon wieder Tausende gespart!« entgegenzunehmen.
    An ein Zimmer

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