Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seehamer Tagebuch

Seehamer Tagebuch

Titel: Seehamer Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Nadolny
Vom Netzwerk:
Ihrem Holzhäuschen«, meinen Liebenswürdige, »muß es doch im Winter sehr einsam sein.« Wie soll ich ihnen erklären, daß bei uns fast nicht Raum genug ist für Michaels neue Romanfiguren, daß sie am Herd lehnen, sich aus den Sesseln erheben, daß sie mit uns leben. »Ja, ziemlich«, sage ich. Denn genauso lang hört mein Gesprächspartner noch zu.
     
     
     

4 . Dezember
     
    Wie immer bei der Heimkehr aus den wie auf Kugellagern laufenden Haushaltungen meiner Schwägerinnen bin ich der guten Vorsätze voll. Ich nehme mir vor, aus unserer Holzhütte ein gepflegtes Heim zu machen. — Nach zwei, drei Tagen, habe ich mir alle Nägel, die mir auf der Reise gewachsen sind, wieder abgebrochen, die Perlmuttersatzlöffelchen sind wieder auf geheimnisvolle Weise verlorengegangen, die Tablettdeckchen verschweinigelt, und die Spinnen haben ihre Netze erneuert, die ich bei meinem Heimkommen zerstört habe. Und dann gebe ich wieder auf.
    Nun ja, alles ist relativ. Früher war es natürlich noch viel schwerer, Ordnung zu halten. Papa trug die Kohlen in sein Atelier grundsätzlich in einem alten, löcherigen Papierkorb hinauf und die Asche dann in einem zu kleinen, dafür aber hoch gehäuften Blechkästchen wieder herunter. Wenn ich seufzend aufgekehrt hatte, rief er plötzlich fröhlich von oben: »Hier ist mit Dank die Schachtel zurück, die Ihr mir für Späne und Torfstückchen geliehen hattet.« Und dann kam ein ehemaliger Margarinekarton holterdipolter von Stufe zu Stufe herunter und verstreute alle zehn Zentimeter etwas von dem, was sich zwischen seine Falze verkrochen hatte. — Der goldige Papa, immer rücksichtsvoll, wollte uns möglichst wenig Arbeit machen und warf daher alte, verkrustete Farbdosen einfach aus dem Atelierfenster. Sie fielen entweder auf das gläserne Vordach vor der Küche und verhinderten dort den Einfall des Lichts noch mehr, oder gleich in die Ligusterhecke, wo ich sie im Liegestütz keuchend wieder zusammensuchen mußte.
    Auch Dickis Zimmer, nun kalt, verödet, aufgeräumt, war einst ein Problem. War er auch noch ein Kind, so doch ein männliches. Das Dachkämmerlein, in dem ich meinen kümmerlichen Jungmädchenträumen nachgehangen hatte, war nicht wiederzuerkennen. Muschel- und Steinsammlungen bedeckten alle waagrechten Flächen, vor der Tür zum Kleiderschrank stand ein Karton mit Bruder Leos alter Elektrisiermaschine. Man konnte die Schranktür ebensowenig öffnen wie das Fenster, weil der Schreibtisch davor so verkramt war. Kehren war nahezu unmöglich, weil der große Stielersche Handatlas aufgeschlagen unterm Bett lag. Dicki hatte eben wenig Platz und mußte manchmal ein sehr nördlich gelegenes Fort in Kanada nachsehen. Außerdem konnte man weder die herumflatternden Zettel wegwerfen, auf denen griechische Verbenstämme verzeichnet waren, noch die mißfarbenen Schächtelchen, denn in ihnen lagen die trockenen Larven der hierzulande häufig vorkommenden Eintagsfliegen. Bekam ich das Fenster wirklich auf, so mußte ich nachher eine Viertelstunde lang auf dem Boden herumrutschen und alle Briefmarken aufheben, die der Luftzug weggeweht hatte. Der obere Waschtisch war entweder voller Tinte, weil Dicki seinem Füllfederhalter ein Bad hatte angedeihen lassen, oder voller Grundierfarbe, weil Papa eine neue Leinwand gespannt hatte.
    Im Atelier gar mußte man sich vor dem Aufräumen immer erst einen Augenblick hinsetzen, denn nun brauchte man seine ganze seelische Kraft. Das Rohr, das Papas Ofen verließ und weiter oben in den Kamin mündete, war leider locker, und kurz nach einem dumpf donnernden Geräusch empfahl es sich, mit einem Stoßgebet Schaufel und Besen zu ergreifen und die Treppe hinaufzueilen, um einen halben Eimer Ruß wegzuputzen, ehe Papa mit Pantoffeln hineintrat. Fuhr man dabei richtig in die Ecken (was sehr schwer war, denn die Staffelei stand im besten Licht, das heißt so, daß man nicht nach hinten ausholen konnte), dann fand man vielleicht auch den so lang vermißten vierten Band Heine und den zweiten Socken zu dem graugrünen Paar. Das chemisch-technische Lexikon und Hamsuns August Weltumsegler jedoch fand man nicht gleich, weil die Bettfüße daraufstanden, zur Erhöhung des Fußendes. War man droben fertig, so hatte drunten Dicki die Katze auf dem Sitzkissen des Wohnzimmers mit Bandnudeln in Soße gefüttert. (Wer ein wirklich gepflegtes Heim haben will, darf keine Haustiere halten. Auch keine Männer.)
    Das allerschlimmste war und blieb natürlich die Bastelkammer

Weitere Kostenlose Bücher