Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seehamer Tagebuch

Seehamer Tagebuch

Titel: Seehamer Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Nadolny
Vom Netzwerk:
wagt auch heute noch mein wilder Ehrgeiz sich nicht heran: an Michaels Allerheiligstes. Schwache Momente hat jeder mal, und so denke ich es mir schön, seinen Bücherschrank vorbildlich zu reinigen. (Bei anderen Leuten kann man so ausgefallene Dinge wie Kellers Grünen Heinrich aus dem Regal ziehen, ohne daß Staubflusen auf dem Schnitt liegen.) — Doch es gibt keine Tages- oder Nachtzeit, in der ich mich mit Besen und Wischlappen ihm nahen darf. Er kleidet seine Abneigung gegen Groß- und Klein-Reinemachen in sehr charmante Form: »Tausend Dank, das ist sehr lieb von dir, aber es lohnt sich wirklich nicht. Ich mach’s nachher schnell selber«, sagt er.
    Er macht es natürlich nicht. Doch ich habe vor dem Kartoffelkäferplakat nicht gelobt, ihn sauberzuhalten, sondern ihn glücklich zu machen. Und so lasse ich es auf sich beruhen.
     
     
     

8. Dezember
     
    Es sollte verboten werden, derart schlechte Reklameverse zu veröffentlichen, wie sie mich zur Zeit auf einer Spültischverpackung, Joghurtbechern und einer Zwiebackdose umgeben. Kein Versmaß stimmt, die falschen Silben tragen die Betonung, und daß die Zeilenenden sich zur Not reimen, macht den Kohl auch nicht fett. Und so etwas in einem Land, das die größten Dichter hervorgebracht hat! Besäßen wir, wie im alten China, ein Ministerium für Poetische Angelegenheiten, so wäre ich jetzt dort vorstellig geworden.
     
     
     

10. Dezember
     
    Es gehört zu den Tücken des Berufs (der Schriftstellersgattin), daß just immer dann, wenn ich meine, mich nun hemmungslosem Plätzchenbacken hingeben zu dürfen, ein Hörspiel über den Schreibtisch gehen muß. Ein Hörspiel ist eine Arbeit für zwei Personen. Meine große Maschine nebst Tischchen wird zu Michael geschleppt, für mehrere Tage wird sicherheitshalber Erbsensuppe vorgekocht. Dann schließe ich hinter der Hausfrau die Tür und spiele nur noch die Mitarbeiterin.
    »Können wir?« fragt Michael. Ehe ich mich setze, umarmen wir einander, wie Boxer, um anzudeuten, daß alles nun Folgende mit unseren persönlichen Gefühlen nichts zu tun hat. Dann geht der geistige Vater des Hörspiels eine Weile leise auf dem Teppich auf und ab und erschreckt mich, wenn ich glaube, dösen zu dürfen, mit einem schneidigen: »Los! Klammer auf! Regieanweisung. Einzeilig bitte!«
    Alte Gewohnheiten sterben schwer. Wie einst in meinen Sekretärinnenjahren verfalle ich zunächst wieder in den Irrtum, der Diktierende habe immer recht. Schon bei Szene zwei ändert sich das. Ich kann nichts mehr niederschreiben, das ich nicht vertreten kann. (Beim Jüngsten Gericht wird man von mir Rechenschaft darüber fordern, was ich Michael in literarischer Hinsicht habe durchgehen lassen, weil ich am nächsten dran war.)
    »Also«, beginnt Michael und setzt sich. »Alondra, Doppelpunkt, Ich weiß jetzt alles.«
    »Nein«, entgegne ich, anstatt zu tippen. (Es ist schon Szene drei). »So nicht. Sie weiß gar nichts. Sie muß es, glaube ich, ganz anders sagen.«
    Michael, der eine Engelsgeduld hat, fragt gefaßt: »Und wie soll sie es sagen?«
    Auf meinen Vorschlag protestiert er. »Nein, das geht nicht. So kalt ist sie wieder nicht.«
    »Aber ihr Ausbruch wirkt hinten doch viel stärker, wenn du sie vorne kaltmachst«, sage ich. (Es ist gut, daß niemand zuhört, der das spezielle Hörspieldeutsch nicht beherrscht.) Haben wir uns festgefahren, so stehen wir auf und klammern uns von beiden Seiten an den Kachelofen. (Mit warmem Bauch denkt es sich konstruktiver.) Nach zwei Minuten, in denen ich es nicht lassen kann, vom Thema abzulenken, damit in unseren Gehirnen nicht Heißlauf eintritt, versuchen wir es wieder. Manchmal (selten) ist mir inzwischen eingefallen, was die Heldin in ihrem Busen fühlt, dann reiße ich das Blatt aus der Maschine, schiebe ein paar Stühle zurück und spiele dem interessierten Autor die Szene vor. Ich vermisse die strenge Schule von Gründgens dabei nicht. Was mein Naturtalent vermag, genügt meist, Michael davon zu überzeugen, daß die Sache so nicht saß.
    (In den ersten Jahren unserer Seehamer Best-Sellerei kam es noch vor, daß Besucher oder Lieferanten vom offenen Fenster des Anbaus erbleichend zurückprallten, weil sie mich drin hatten schreien hören: »Nie hätte es so weit kommen dürfen! Ich wollte lieber, du wärst tot!« Sie haben sich inzwischen daran gewöhnt, daß nicht alles, was man bei Nadolnys hört, eheliche — Auseinandersetzungen sein müssen.)
    Die Köchin, die wir hatten, als ich ungefähr

Weitere Kostenlose Bücher