Seehamer Tagebuch
bleiben Weihrauchduft und drei frische Kreidekreuzchen für Caspar, Melchior, Balthasar.
Als meine Fausthandschuhe noch mit einer Schnur zusammengehängt waren und man mich vor den Krippen der Münchner Kirchen hochheben mußte, fragte ich, wie die Könige den weiten Weg aus dem Morgenland vom 24. Dezember bis 6. Januar zurücklegen konnten. Heute nehme ich Wunder, wie sie kommen. Ich frage nicht mehr.
8. Januar
In Büchern für die perfekte Hausfrau steht unter der Rubrik »perfekte Gastgeber« unweigerlich, daß man seinem Logiergast ein hübsches Buch auf den Nachttisch legen soll. Was aber ist ein hübsches Buch? Der eine wird Kin Ping Meh loben und dafür bei einem Wiechert Hautausschlag bekommen, der andere nur Kriminalromane wünschen, oder aber Ludwig Thoma, weil er doch in Bayern ist. Auch hierin ist »dem einen sin Uhl, was dem andern sin Nachtigall«. Will ich daher einer Dame, die alles, vom Kinsey-Report bis zu den Barrings, bereits kennt, eine Freude machen, so lege ich ihr die Kochbücher von Großmama auf den Nachttisch. Zwar beginnen sie nicht mit dem klassisch gewordenen »Wenn man nichts im Hause hat, nehme man einen Puterhahn...«, doch verwendete Großmama immerhin zu einer klaren Bouillon ein ganzes Huhn, ein halbes Pfund Spargel, fünf Pfund Rindfleisch und zwei Tauben. (Wenn ich diese Zutaten beieinander habe, so mache ich nicht klare Bouillon, sondern das Menü für die ganze Woche!) Doch selbst finanziell gut gestellte Gäste, die sich solche Bouillon vielleicht leisten könnten, lesen mit Interesse, daß Großmama »Compote aus frischen Pflaumen auf einer flachen Schale anordnete«, und ein weiblicher Gast kam einmal poch nach Mitternacht an mein Bett, den Finger zwischen den Seiten des Kochbuchs, und fragte mich, ob eine Wirtschaftstorte etwas sei, das viel Wirtschaft macht, oder etwas, das man dem Personal im »Leutezimmer« auf den Tisch stellt? (Ich wußte es auch nicht.)
Bei männlichen Gästen muß man mit Kochbüchern als Bettlektüre vorsichtig sein. Einer bekam bei den Beschreibungen und safttriefenden Abbildungen solchen Appetit, daß er mit Michael nachts in die Küche schlich. Ich hatte den Herren nichts zu bieten als Vollkornbrot, kalten Kartoffelbrei und ein Ende Mettwurst, das so aussah, als sei es überfahren worden.
10. Januar
Heute war der Endiviensalat in ein Zeitungsblatt gewickelt, auf dem eine junge Dame mit provozierenden Formen gerade so etwas wie Rumpfbeuge rückwärts macht. Sie sah aus wie hundert andere. Eines jedoch ist an ihr besonders: sie ist taubstumm. Man rechnet damit (steht unter dem Bild), daß sie eine Blitzkarriere beim Film macht.
Was für ein Gedanke, die taubstummblinde Helen Keller, die eine ganze Welt so vieles über das Mensch-Sein lehrt, könnte jemals versucht haben, durch ihre Weiblichkeit zu wirken.
14. Januar
Nun sind alle Weihnachtsbücher ausgelesen, nun bekommt man schon diejenigen der Freunde und Bekannten geliehen. Viel Vergnügen hatte ich nicht daran. Zwei der Bücher waren mit Ekelhaftem wie mit Tretminen verseucht, alle Augenblicke explodierte wieder eine. Es wäre schön, wenn man schon auf dem Schutzumschlag gewarnt würde; mein Gedächtnis schleppt derlei ein Leben lang mit, eine unverdiente Strafe, die ich mir gern erlassen möchte. Auch zur Zeit meiner Eltern gab es unpassende Stellen in den Büchern, die in der zweiten Reihe im Bücherschrank standen, hinter Brehms Tierleben und der Weltgeschichte. (Wir fanden sie immer sehr bald.) Warum nur hat man sie vor uns verbergen wollen? Es waren so entzückende Unanständigkeiten: feurig, lebensbejahend, ein Loblied auf alles, was uns — wenn wir Glück hatten — als Erwachsenen bevorstand. Damals war einzusehen, daß, wie Wedekind sich ausdrückt — die Erotik der Geist des Fleisches ist. Die Bücher mit den freudlos enthüllten Unappetitlichkeiten werden nicht mehr in die zweite Reihe gestellt. (Wieso wird eigentlich etwas dadurch »passender«, daß es augenscheinlich weder dem Autor noch den beiden handelnden Personen Spaß macht?) Und dabei sind sie wirklich unanständig, weil sie nämlich mehr verletzen als nur das Schicklichkeitsgefühl. Sie verzerren das Menschenbild, machen aus der Liebe einen klinischen Befund und experimentieren (leicht angewidert) mit etwas herum, womit sich der liebe Gott bei der Schöpfung die größte Mühe gegeben hat. — Nein, zu verbieten braucht man diese Bücher nicht. Ekel ist nichts,
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