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Seehamer Tagebuch

Seehamer Tagebuch

Titel: Seehamer Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Nadolny
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Handschuhgrößen steht das Zitat: »Der Duft der Dinge ist die Sehnsucht, die sie in uns nach sich erwecken.« Woher mag es stammen?)
     
     
     

14. Februar
     
    Wie war ich damals in der Elisabethstraße traurig, weil ich noch nicht mit auf den Fasching durfte. Schmerzlich erregt bewundere ich meinen Bruder (im Russenkostüm mit der Balalaika, oder als Beduine mit Messing-Vorhangring im Ohr, das Gesicht dunkelbraun dank Leichners Fettpuder), der sich den amüsierten Eltern noch einmal zeigte, ehe er auf unvorstellbar herrlichen, turbulenten Festen verschwand, Mitteldingen zwischen den Sektreklamen in den Illustrierten und dem Ball aus der »Fledermaus«. Wie wundervoll mußte es sein, jemand anders darzustellen, freche Sachen zu sagen, die zum Kostüm paßten, sich ungeniert an fremde Leute zu schmiegen, die einen als Frau für voll nahmen und zu tanzen, zu tanzen, bis man umfiel, nicht bloß die vorgeschriebenen Stunden bei Meister Valenci oder, wenn’s hochkam, einmal im Cherubinsaal bis halb eins! (»Nun ist es aber genug, Mausi, schau, Anneliese geht auch schon.«) Im Morgengrauen heimkommen, Konfetti im Haar, wie manche, denen ich auf dem Schulweg begegnete (seidene Hosenbeine unterm Mantel, eine zerdrückte Harlekinkrause um, eine Pritsche in der Hand).
    Doch nein, es durfte keine Ausnahmen geben. »Nicht für ein Küken wie dich.« Der Fasching würde mir beschert werden, zu seiner Zeit.
    Er wurde es. Zu meinem Leidwesen hatte er nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem unerfüllt gebliebenen Traum. Ich konnte mich verkleiden, soviel ich wollte, ich wurde niemand anders. Das Wesentliche an mir blieb schrecklich unverändert. Freche Sachen zu sagen (halben Herzens, gelegentlich errötend), ließ ich bald, weil ich dann als Frau derartig für voll genommen wurde, daß ich ängstlich in die Garderobe entwich. Das Tanzen wurde rasch zur Plage, es war zuwenig Platz dafür vorhanden, und Teile von Ritterrüstungen stießen einem ins Kreuz, Pfauenfedern ins Gesicht. Nur selten gab es schöne Kostüme zu bewundern, und die darin steckten, spielten ihre Rolle nicht sorgfältig. Mit dem ungenierten Anschmiegen war es schon gar nichts: es schien immer gerade denjenigen Männern daran zu liegen, die ihre erotische Anziehungskraft beträchtlich überschätzten. (Hatte ich nicht bei privaten Gelegenheiten voller Entzücken einen wohlgezielten Kuß entgegengenommen, auf den ein Abend zugeströmt war wie ein Fluß auf einen Wasserfall? Nun, wo sich jeder Unbekannte auf das Recht der Maskenfreiheit berief, war ich davon so peinlich überrascht, als wären der Postbote am Schalter und der Schaffner in der Trambahn plötzlich in Zärtlichkeiten ausgebrochen.) Die späte Stunde, zu der ich einst nach Hause gehen mußte, brachte keine Wunder mehr, nur noch eine so starke Enthemmung aller Beteiligten, daß ich als wohlerzogener Mensch manchmal meinte, wegschauen zu müssen. Flüchtete ich auf das Musikerpodium, so sahen die im wechselnden Scheinwerferlicht dahintreibenden, schweißnassen Gesichter der Zusammengepferchten höllisch unheimlich aus. Menschenfreundliche Piraten, Indianerhäuptlinge und Mephistos, der Meinung, ich käme da droben irgendwie zu kurz, zogen mich vom Podium nieder, um mir eine neue Kultur Grippebakterien anzuknutschen und mich der allgemeinen Lustbarkeit wieder einzuverleiben. Es dauerte ewig, bis ich den Mann im Gewühl wiederfand, der meinen Hausschlüssel und meine Garderobenmarke in der Tasche hatte. (Er hatte sich diskret abseits gehalten, um mir Gelegenheit zu geben, mich einmal unbeobachtet auszuleben!)
    »Du bist eben mit den falschen Leuten ausgegangen«, hieß es. Ich versuchte es noch ein paarmal. Doch das Tischtuch zwischen dem Fasching und mir blieb zerschnitten. Natürlich lag es einzig und allein an mir, dem geborenen Spielverderber.
    Gestern war im Seehamer Dorfgasthaus nachmittags eine Art Kinderfasching: eine Ziehharmonika, ein ausgeräumtes Nebenzimmer und sonst nichts. Das jüngste Paar war etwa sechs und vier. Er mit schneidigem Hut und Pompon darauf, sie als Rotkäppchen, die Haare offen. Selig verglast, ohne Grazie, ohne Vorstellung davon, was Rhythmus ist, drehten sie sich engumschlungen durch den Raum, zwei Bärchen, ins Außergewöhnliche gesteigert durch ein bißchen Kostüm und Schminke. Und die Faschingsseligkeit und ihr Zauber waren wieder da für mich. Denn bei Frauen zwischen vier und achtzig stirbt die Illusion niemals.
     
     
     

17 . Februar
     
    Marie von

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