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Seeherzen (German Edition)

Seeherzen (German Edition)

Titel: Seeherzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margo Lanagan
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Knocknee. Ich bin froh, dass Misskaella sich auch nicht drauf eingelassen hat, zumindest eine allerletzte Meerfrau rauszuholen – ein paar üble Kerle hatten ihr Kleingeld zusammengeworfen, um sich eine Frau zu teilen, sie von einem Mann zum nächsten weiterzureichen. Die Hexe hat gesagt, sie hätte genug von uns und wir sollten sie mit unserem Gejammer in Ruhe lassen. Sie wollte nichts mehr mit Robben und Robbenzauber zu tun haben.
    Das kann man ihr nicht wirklich übelnehmen; sie war schon ziemlich alt und krank. Außerdem schuldeten einige Männer ihr immer noch Geld – sie haben sich nicht mehr an die Vereinbarung gehalten, nachdem sie ihre Frauen ans Meer verloren hatten. Haben ihren ganzen Lohn versoffen, und sie hat keinen Penny davon gesehen. Nicht, dass sie’s nötig gehabt hätte – weder sie noch Trudle oder Trudles Töchter. Misskaella hat sich ’ne goldene Nase an uns verdient – du hast ja ihr Haus oben auf dem Hügel gesehen. So vollgestopft mit Kostbarkeiten, dass man kaum noch reinkommt. Und Trudle hat’s an nichts gemangelt, seit sie das erste Baby bekommen hat. Also hatte
sie
natürlich erst recht keinen Grund, sich für uns einzusetzen. Jeden von euch, den wir rausgefischt haben, haben wir allein aufspüren müssen. Also, wie gesagt, einige behielten Crescent Cove im Auge, andere kreisten jedes Mal, wenn die Robben da waren, um die Skittles Rocks herum – das weißt du ja. Manche Dads sind noch weiter aufs Meer raus und haben die anderen Inseln abgeklappert. Und seit damals sind in jeder Jagdsaison ein paar von euch zurückgekommen, wurden irgendwo da gefunden, wo die Segelschiffe vor Anker gegangen sind – die Häute, die ihr im Arm haltet, verraten, was ihr wart.»
    Ich erschaudere. «Toddy Marten hat jetzt noch Albträume von diesen Booten. Sie hatten ihn zwar unter Deck eingeschlossen, aber trotzdem war da überall dieser Gestank, hat er gesagt.»
Nach abgeschlachteten Mums
, erzählte er mir, und seine Worte dröhnen mir im Kopf herum, doch ich bringe sie nicht über die Lippen, so wie auch Toddy sie kaum aussprechen konnte.
    «Wir können genauso wenig aus dem Robbengeschäft aussteigen, wie wir die Sonne davon abhalten können, morgens aufzugehen», sagte Dad. «Einigen von uns hat der Gedanke an das, was sie da taten, schwer zugesetzt, aber auch wenn ich’s nur ungern zugebe, gab’s auch einige, die regelrecht darauf brannten, es den Mums und den Robbenherden heimzuzahlen und sie leiden zu sehen. Aber wir sind alle jeden Tag runtergegangen, wenn die Boote einliefen, weil wir hofften, was Neues zu erfahren – oder einen Jungen zu sehen, am besten natürlich den eigenen, der über den Steg auf uns zukommt. Ich bin jeden Tag hingegangen, bis du wiederkamst. Und hätte ein Robbenjäger mir dich zurückgebracht, Daniel, statt einer von unseren Männern, hätte ich ihn umarmt und bis ans Lebensende meinen Bruder genannt, selbst wenn er von oben bis unten mit Meerfrauenblut besudelt gewesen wäre, ein blutiges Messer im Gürtel stecken und ’ne Robbenzahnkette um den Hals gehabt hätte.»
    Seine Augen glänzen, und er sieht mich eine ganze lange Minute mit diesem Glitzern an, bevor er ein schiefes Lächeln zustande bringt. «Diese Frauen haben uns nie wirklich gehört», sagt er, «da können wir sie noch so sehr geheiratet haben, um sie bis an unser Lebensende unsere Frauen zu nennen. Aber unsere Söhne … na ja, ihr wart zumindest zur Hälfte von uns. Ich schätze, wir dachten, wir hätten ein Recht darauf, euch zurückzuholen. Denn wer», sagt er, während er sich mit der Pfeife in der Hand zu mir hinbeugt, «sollte uns sonst die Pfeifen stopfen und uns Enkelkinder schenken, um uns im Alter aufzuheitern? Oh, es gibt ’ne Menge Leute, die niemanden mehr haben», fährt er fort und sieht mir zu, wie ich den Pfeifenkopf am Kamin ausklopfe und zum Tabaksbeutel greife. «Aber selbst die haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben, glaub mir. Die Männer, die gar keine Hoffnung mehr hatten, haben sich vom Chisel Top gestürzt oder sind mitten im heftigsten Wintersturm vom Six Mile Beach rausgeschwommen. Die anderen machen sich vielleicht nicht selbst auf die Suche, gehen aber jeden Tag zum Hafen runter, weil der eigene Junge ja doch noch auf einem der Boote auftauchen könnte, man weiß ja nie.»
     
    Ich wurde wiedergeboren und kam schreiend aus dem Robbenleib heraus – das war wohl bei vielen so, hat man uns erzählt. Aber schließlich kann auch niemand so herzzerreißend

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