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Seeherzen (German Edition)

Seeherzen (German Edition)

Titel: Seeherzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margo Lanagan
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heulen und schreien wie eine Robbe. Ich wurde in strömenden Regen rausgezerrt, steckte zum Teil noch in der Schafshaut, die Mum für mich gemacht hatte, und platzte an anderen Stellen schon daraus hervor. Jedes einzelne Geräusch tat mir in den Ohren weh – der fauchende Regen auf den Felsen und die Stimmen der Männer: «Daniel Mallett! Willkommen zu Hause, Junge!»
    «Mallett? Ist das nicht der Junge, der oben bei Wholeman gearbeitet hat? Der den Schlüssel vom Vorratsraum geklaut hat, als sie in der Nacht damals abgehauen sind? Den sollten wir direkt wieder reinschmeißen, und zwar ohne seine Haut!»
    «Willst du Dominic Mallett dann die Haut bringen, Clift, und ihm erzählen, sein Sohn wär über Bord gekippt?»
    «Haltet den Mund, ihr beiden! Der Junge hat Ohren, falls euch das noch nicht aufgefallen ist!»
    «Ach, pfft. Die verlernen unsere Sprache doch da unten; du hast sie ja gehört.»
    «Hör gar nicht hin, Junge. Dein Dad wird sich freuen, dich zu sehen.»
    Sie schnitten die Haut auf und zogen sie von mir herunter. Ich plumpste mit meinem ganzen Gewicht daraus hervor und auf einen abschüssigen Felsen, der vom Blut rot getränkt war; es lief in Strömen darüber und tropfte über die Felskante bis ins Meer. Überall um mich herum ragten Beine auf, und ich sah weit entfernte, grinsende Gesichter; direkt vor mir hockte der Mann mit dem Messer und verpasste mir ein paar Ohrfeigen, grinste und wischte sich über die Augen. Hinter ihnen ragte einer der Skittles Rocks empor, den ich für einen noch größeren Menschen hielt – mit überbreiten Schultern und ohne Gesicht. Ich versuchte, mir schützend die Arme vorzuhalten, aber mir fehlte jegliche Kraft dazu; ich hatte vergessen, wie man sie benutzt.
    Mitten in dem brutalen Lärm und dem Trubel erkannte ich die verschwommenen Umrisse eines Fischerbootes. Sie trugen mich an Bord und legten mich mit meiner wunden Haut und den knochigen Schultern aufs Deck. Ein Mann schob mir ein zusammengerolltes Seil unter den Kopf, das drückte und schmerzte. Ich versuchte, mich wieder an meine Menschenaugen zu gewöhnen und an das, was sie mir dort oben in der Luft zeigen wollten. Die ganze massige Haut war von mir abgefallen, warum also fühlte ich mich jetzt so viel schwerer? Und auch um mich herum war alles schwerer, wie ans Deck geklebt; die Männer schlurften bleiern über die Bretter, keiner von ihnen konnte fliegen, auch ich nicht mehr.
    Um mich herum lärmte die Luft; jede Bewegung war schnell und schaurig, jeder Kontakt unvermittelt und laut und löste noch mehr Lärm aus. Die Land-Männer bewegten sich ohne Rhythmus, fluchten und friemelten herum – die Männer aus meiner Stadt, aus meinem Leben an Land –, während die Seevögel durch die Luft ruckelten. Und ich lag festgepresst auf den Überresten meines Robbenfells, die Seetangdecke drückte mich auf die klammen Planken, ließ die wenige Wärme in mir nicht entweichen. Der Wind konnte mir nur die feuchten Haare über den Augenbrauen hin und her wehen; er konnte mich nicht hochheben und ins Wasser zurückbringen; er konnte nicht einmal das verknotete Häkelding von mir herunterwehen.
    Dieser Traum machte mich ganz krank; die Männer liefen grinsend an mir vorbei, tätschelten und trösteten mich auf der ganzen Fahrt nach Hause.
    «Niemand nimmt dir übel, was du getan hast, Daniel, mach dir keine Sorgen.»
    «Na ja, höchstens so Typen wie Clift, und auf deren Meinung legt nun wirklich keiner Wert.»
    «Ein Junge, der seine Mutter über alles liebt – haben wir sie nicht auch über alles geliebt?»
    Sie verlangten nichts von mir; sie erwarteten nicht, dass ich mit meinem merkwürdig vollgepfropften Mund etwas sagte, meine neue gequetschte hohle Stimme in diesem platten Gesicht mit dem neuartig geformten Kiefer benutzte. Der Himmel blieb, kein Meerwasserschleier legte sich mehr darüber, wenn ich nach dem Luftholen wieder abtauchte. Die Krankheit dauerte an, und durch sie hindurch glitt das summende Gemurmel der Männer ineinander, fügte sich zu sinnvollen Elementen zusammen. («Und wollten wir letzten Endes nicht auch, dass sie glücklich sind?», «Nur war von uns keiner bereit, sich selbst zurückzunehmen und auf seine Bequemlichkeit zu verzichten.» – «Stimmt schon, die Jungs haben eigentlich nur das getan, was wir hätten tun sollen.») Sie hießen mich willkommen, willkommen zurück. Sie sprachen über ihre Erleichterung und darüber, wie wertvoll und selten Söhne doch waren. Anscheinend

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