Seeherzen (German Edition)
zerrissen. Die fünf Jahre davor hatten wir bei Wholeman jedes einzelne Wort, das ihr je gesagt hattet, immer wieder umgedreht, mit unseren Tränen befeuchtet und mit unseren Erinnerungen poliert.
Und Canker, der draußen vor ihm herging, brauchte nicht zu singen – sein Gesicht hat gesungen, die Freude darin. Neid ist eine Sünde, heißt es. Du sollst nicht begehren, heißt es. Nun, Daniel, dein alter Herr ist ein Sünder. Ich hoffe, es macht dir nichts aus. Ich war von Neid zerfressen, habe Joel Canker
gehasst
, weil er das hatte, was ich nicht hatte. Zumindest noch nicht, und wer wusste schon, ob ich es je bekommen würde?»
Er strahlt um seine Pfeife herum, zieht sie mit einer Hand zwischen den Zähnen hervor und tätschelt mir liebevoll die Wange.
Dann schiebt ein Gedanke sein Lächeln beiseite. «Natürlich gibt’s ’ne Menge Leute, denen nur ihr Neid blieb und sonst gar nichts. So wie Corris Snow, Gott segne ihn, und die Green-Brüder – von ihren Jungs ist keiner zurückgekommen.» Dad berauscht sich an meinen Anblick und fühlt sich deswegen schuldig.
Einige der Jungen hielten es auf Rollrock ohne die Mums und unter den vielen trauernden Männern nicht mehr aus. In der Hoffnung, dort aufgeheitert und abgelenkt zu werden, flohen mehrere von ihnen aufs Festland, und viele andere sprachen ebenfalls davon, hatten dann aber doch nicht den Mut fortzugehen.
Diejenigen, die blieben, fuhren zum Fischen raus. Dankbar überließen die älteren Männer uns ihren Platz auf den Booten, und die weniger alten hatten noch genug Feuer im Hintern, um an Bord das Kommando zu übernehmen und uns einzuweisen.
Für uns war es eine gute Arbeit, allemal besser, als bei den traurigen Dads an Land zu sitzen. Es fühlte sich richtig an, auf dem Meer zu sein, auf halber Strecke zwischen unseren zwei Heimatorten, und die meiste Zeit hielt uns die Arbeit zu sehr in Atem, um traurigen Gedanken nachzuhängen. Manchmal fiel es uns schwer, keine Parallele zwischen einem reichen Fang im Schiffsraum und unseren Erinnerungen an einen Schwarm schöner Fische unter Wasser zu ziehen; ab und zu wurde ein sich verzweifelt windendes Tier im Netz hochgezogen, das sich zuvor anmutig, flink und faszinierend im Wasser bewegt hatte, und es nun so zu sehen, wie es sich auf dem Deck hin und her warf und abstrampelte, war, als winde sich dort mein eigenes Herz im Todeskampf, weil ihm das übergeordnete System fehlte, das es am Leben hielt. Doch dies waren nur kurze Augenblicke während der langen Arbeitstage, mit denen wir unseren Lebensunterhalt verdienten; das Beste an unserer Arbeit war, dass sie uns körperlich erschöpfte – tagsüber wurden wir kräftiger, und nachts schliefen wir besser.
Einige Jungen blieben trotzdem unglücklich, vor allem die, deren Väter sie nicht freudig empfangen hatten, weil sie schon vorher nichts mit ihren Söhnen anzufangen gewusst hatten oder sie nach der langen Zeit im Meer als Fremde empfanden. Die Unglücklichsten unter ihnen liefen in mondbeschienenen Nächten am Forward Head, Six Mile Beach oder in der Crescent Cove wütend am Wassersaum entlang und riefen nach den Robben, dass es einem das Herz brach. Die Allerunglücklichsten schwammen sogar raus und riefen auf offener See nach den Robben, darunter auch James, mein Freund aus Kindertagen. Eines Nachts schwamm er mit reichlich Alkohol im Blut ins Meer hinaus und wurde am nächsten Morgen kalkweiß am Forward Beach angeschwemmt. Sein Dad überlegte in seiner Qual, ob er ihn einwickeln und mit Gewichten behängt wieder dem Meer übergeben sollte, brachte es letztlich aber doch nicht über sich und ließ ihn auf dem Friedhof beerdigen, damit er immer wusste, wo sein Sohn zu finden war.
Ich kehrte früher von meiner Aushilfsarbeit in Fishers Laden nach Hause zurück. Der Geruch zog sich durchs ganze Haus: Es roch wild und salzig nach Mums und Meereshöhlen. Der Duft schien die Luft blaugrün zu färben, dazwischen schoben sich Sonnenstrahlen; mit ausgebreiteten Armen trat ich hinein und ließ die Strahlen um meine Arme herumwirbeln.
In der Küche, im Herzen des Geruchs, im Herzen meines Zuhauses, saß Dad mit seinem weißen Teller und einem Löffel in der Hand am Tisch. Er versuchte, so zu tun, als wäre alles wie immer, fragte dann aber vorwurfsvoll: «Was machst du denn jetzt schon hier?»
«War mit allem fertig.»
Er reckte das Kinn, seine Augen blickten stur, und eine leichte Röte bahnte sich den Weg über sein Gesicht. Und dann sah ich das
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