Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seeherzen (German Edition)

Seeherzen (German Edition)

Titel: Seeherzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margo Lanagan
Vom Netzwerk:
Winch-Frauen also die ganze Zeit in Cordlin?»
    «In Knocknee. So weit wie möglich vom Meer und den Robben weg. Aber man hat mir gesagt, dass es hier auf Rollrock keine Meerfrauen mehr gibt. Stimmt das?»
    «Das stimmt. Sind alle weg», sagte der Mann. «Alle weggeschwommen.»
    «Und es wurden auch keine neuen mehr hergeholt, seitdem sie weg sind? Denn wenn auch nur noch eine einzige da ist, fahre ich direkt wieder zurück nach Knocknee.»
    «Keine mehr da», sagte der Mann hastig in die Stille hinein.
    Alle schauten herüber und lauschten so angespannt, als hinge ihr Leben davon ab. Mehrere von den Jungen hier konnten der sein, den ich suchte, aber vermutlich sah er als Mann ganz anders aus. Was sie alle für
Augen
machten! Hatte ihnen denn niemand beigebracht, dass es unhöflich war, so zu starren? Aber keiner von ihnen schien mich zu kennen.
    «Nein, nein», versicherte der Mann direkt neben dem stämmigen. «Keine einzige mehr da. Seit gut sieben Jahren keine Robbenfrau weit und breit.»
    Der stämmige Mann trat von einem Fuß auf den anderen. «Also
gute
Jahre waren das nun wirklich nicht.» Und um das unangenehme Schweigen, das darauf folgte, zu durchbrechen, warf er hastig hinterher: «Sollen wir Ihnen den Koffer zum Winch-Haus hochtragen?»
    «Ja, danke, das wäre sehr nett», sagte ich.
    Einige Väter stießen ein paar der jüngeren Männer an, die sich schweigend zum Koffer durchdrängelten. Dann machten wir uns auf den Weg, stiegen die sonnigen Gassen hinauf, gefolgt von der Hexe Trudle und sechs oder sieben Männern. Trudles Gesicht war immer noch misstrauisch verkniffen; ihre Töchter schwärmten um sie herum; ihr kleiner Junge gaffte uns an. Er sah ein wenig seltsam aus; vermutlich stimmte irgendetwas nicht mit ihm. Die ungebändigten roten Haarmassen der Mädchen loderten im Sonnenlicht – im Vergleich dazu erschienen mir meine eigenen dicht am Kopf und den Rücken hinuntergeflochtenen Haare unauffällig und brav. Der stämmige Mann stellte sich als Torrens Baker vor. «Ihre Grandma hätte sich bestimmt noch an meinen Dad erinnert.»
    «Sagen Sie, Mr. Baker», fragte ich, «gab es da nicht irgendwelche Nachkommen aus der Ehe meines Großvaters oder meines Onkels, die Anspruch auf das Haus haben?»
    «Ja, die gab es», sagte er.
    Hatte ich es doch
gewusst
 – so wie Mum und Grandma mit Tom Grease getuschelt hatten, während ich den Tee zubereitete.
    «Es gab mehrere Söhne aus den Ehen», sagte Baker. «Aber von den Winch-Jungs ist keiner zurückgekommen, nachdem die Mums sie mitgenommen haben. Odger und Nase hatten beide Pech, was das angeht. Alle Jungen, die Sie hier sehen, sind irgendwann zurückgekommen – wir haben sie in der Crescent Cove oder bei den Skittles Rocks aufgegriffen, oder die Robbenjäger haben sie weiter draußen gefunden.»
    Unauffällig betrachtete ich die Gesichter der Jungen, ihre dunklen oder roten Haare; was für Spuren es wohl hinterließ, wenn man im Meer gelebt hatte? Diese Jungs schienen sich mühelos an Land zu bewegen; aus ihren Gesichtern sprach mehr Intelligenz, als Trudles Söhnchen zu besitzen schien, und soweit ich es erkennen konnte, ohne sie anzustarren, hatten sie keine Schwimmhäute zwischen den Fingern.
    «Und Töchter gab es keine?», fragte ich. «Ach herrje», sagte ich, weil die älteren Männer bei meiner Frage allesamt zusammengezuckt waren und die jüngeren schlagartig traurig guckten. «Mit den Mädchen hatte es ja irgendetwas Schreckliches auf sich. Verzeihung.»
    «Die Winchs haben mehrere kleine Mädchen bekommen», sagte Baker, dann machte er eine Pause, als stünde er im Begriff, eine unangenehme Wahrheit auszusprechen. «Aber …»
    «Ich habe ein bisschen darüber gehört», sagte ich schnell in die unbehagliche Stille hinein. «Aber über manche Themen redete Grandma nie länger als eine Minute; sie sprang dann bei der ersten Gelegenheit auf und war plötzlich beschäftigt.»
    Baker nickte dem Boden zu. Ich zwang mich zu schweigen. «Es ist so», fuhr er schließlich gedämpft fort, «die Töchter, die ein Mann mit einer Meerfrau bekommt, können sich an Land nicht richtig entwickeln. Der Robbenanteil in ihnen ist größer als bei den Jungs. Sie müssen zurück ins Meer, damit sie nicht sterben. Sie müssen von ihrem eigenen Volk aufgezogen werden. Die Frauen waren darüber todunglücklich; viele von uns erinnern sich noch gut daran.»
    «Ganz davon zu schweigen, was sie sonst noch alles unglücklich gemacht hat», sagte ein Mann zu

Weitere Kostenlose Bücher