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Seeherzen (German Edition)

Seeherzen (German Edition)

Titel: Seeherzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margo Lanagan
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sehr Altes, Gebrechliches.»
    «Jemand Altes und Gebrechliches hat ein Auge auf unsere Missk geworfen?», fragte Billy vergnügt, und die anderen wollten gerade in sein Lachen einstimmen.
    «Oder er will sie
vergiften
», warf Tatty ein.
    «Gib mir das», sagte Dad.
    Ich reichte ihm den Krapfen und leckte mir die klebrige Süße von den Fingern. Dad brach den Krapfen in zwei Teile – beim Anblick des weichen goldgelben Inneren verfielen alle in andächtiges Schweigen. Er roch an beiden Stücken.
    «Ich esse ein Stück davon – um ihn zu testen», bot Billy an, «wenn du willst.»
    Tatty schubste ihn von der Stufe hinunter. «Als ob er seinen einzigen
Sohn
aufs Spiel setzt, wo er jede Menge
Töchter
übrig hat.»
    «Hier, Misskaella, iss ihn», sagte Dad und gab mir den Krapfen zurück.
    «Jetzt?», stieß Billy hervor.
    «Sie ist bis obenhin voll mit Haferbrei!», rief Ann Jelly.
    «Wo ich euch im Auge behalten kann», sagte Dad. «Und zwar euch alle. Ansonsten nehmt ihr Misskaella den Krapfen weg, bevor ihr am Ende der Straße angekommen seid. Und er ist für
sie
.» Er wedelte mit der Nachricht vor ihren Augen herum. Billy wandte sich ab und trat gegen einen Pflasterstein.
    «Soll sie ihn nicht mit uns teilen?», fragte Lorel sehnsüchtig.
    «Ich wüsste nicht, warum», sagte Dad. «Steht in der Nachricht irgendwas von teilen?» Er tat, als läse er sie erneut. «Nein, ich glaube nicht.»
    «Ihm ist eben egal, wenn
du
draufgehst, Missk», sagte Tatty. «Hauptsache, wir anderen werden nicht vergiftet.»
    Es war eine Schande, mir den zarten süßen Krapfen so in den Mund zu stopfen, ihn vor all den eifersüchtigen Blicken hinunterzuschlingen, ohne ihn richtig zu genießen. Sobald ich mir das letzte Stück in den Mund geschoben hatte, scheuchte Dad uns davon. Während ich noch vor mich hin kaute, machten wir uns schweigend auf den Weg.
    «Wer kann es bloß sein», murmelte Billy direkt neben mir, «wer ist so alt und gebrechlich und verliebt? Für die
Kleine
», fügte er sentimental hinzu. «Für die
Kleine
, die ich auf meinem Schoß hin und her schaukeln möchte. Für die
Kleine
, der ich gern mit der Hand unter den Rock –»
    «Hör auf damit, Billy», sagte Ann Jelly. «Misskaella kann schließlich nichts dafür, dass irgend so ein Grandpa ein Auge auf sie geworfen hat.»
    «Oder eine Grand
ma
», nuschelte ich, während ich mir klebrige Krümelreste zwischen den Zähnen herauspulte. «Eine Grandma könnte so einen Krapfen
gebacken
haben.»
    «Ganz bestimmt nicht», sagte Billy. «Solche Krapfen machen die nur auf dem Festland. Den hat ein Bäcker aus Cordlin gebacken. Ab und zu gibt’s solche in Fishers Laden zu kaufen.»
    Ich bemühte mich, den letzten exotischen Cordlin-Geschmack, so gut es ging, auszukosten. Ob tatsächlich ein alter Mann ein Auge auf mich geworfen hatte? Wäre das besser, als wenn es etwas mit den Robben zu tun hatte – und dem Zauber, den sie auf mich ausübten?
    Als wir nachmittags nach Hause zurückkehrten, ging ich schnurstracks zu Mum. «Kann ich den Zettel sehen», fragte ich, «der heute Morgen bei dem Krapfen dabei war? Hat Dad ihn dir gezeigt?»
    «Wieso? Was willst du denn damit?» Mum blickte vom Tischschrubben auf.
    «Mir die Schrift angucken. Ich konnte sie mir nicht richtig ansehen. Nur Dad und Tatty haben sie gesehen.»
    «Zu spät. Ich hab ihn im Ofen verbrannt. Du musst dich wohl gedulden, bis er dir das nächste Geschenk macht – wer immer es auch war.» Und damit schrubbte sie mit heftigen Bewegungen weiter.
     
    An meinem Geburtstag fand ich auf einer kleinen Schneeverwehung vor unserer Haustür ein Paar feine Söckchen – gekaufte Söckchen mit Rosenstickerei an den Bündchen.
    «Dein Liebhaber hat ein Geschenk für dich dagelassen, Missk!», verkündete Billy, während er die Socken hoch über dem Kopf schwang. Kaum hatte er sie neben meiner Schüssel mit Haferbrei abgelegt, riss Tatty sie auch schon an sich.
    «Ach, hör auf damit, Billy», sagte Ann Jelly. «Amblers Urgroßmutter hat sie bestimmt dort abgelegt.»
    «Dann hätte sie Ambler geschickt, so wie beim letzten Mal», sagte Grassy.
    «Außerdem liegt sie im Sterben», fügte Bee hinzu. Erschrocken sah ich zu ihr hoch. «Hab jedenfalls so was gehört», sagte sie. «Du nicht?»
    «Vielleicht hofft sie, dass Missk sie besucht und sie heilt», mutmaßte Billy und machte sich geräuschvoll über seinen Haferbrei her.
    «Das hätte sie doch
gesagt
», wandte Grassy ein. «Dann hätte sie Ambler

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