Seeherzen (German Edition)
Glück sprechen – wer passt eigentlich gerade auf die Kinder auf?»
«Knitty Thomas von gegenüber. Sie hält die Ohren offen, solang ich nach Nase suche.»
«Geh nach Hause, dummes Mädchen. Kein Mann will, dass seine Frau ihm jammernd durchs Dorf hinterherrennt. Wenn er jetzt in den Pub geht, machen sie sich deinetwegen alle über ihn lustig. Geh nach Hause und mach ihn nicht vor allen zum Gespött.»
«Er ist nur so spät dran», sagte Sophie. Snell setzte einen gefühlsduseligen Gesichtsausdruck auf, und Byrne wälzte sich auf dem Boden.
«Natürlich ist er das. Warum sollte er auch Lust haben, zu deinem Gejammer zurückzukommen? Geh nach Hause und reiß dich zusammen, Mädchen. Und sei mal etwas fröhlicher, wenn er zurückkommt. Was hältst du davon?»
«Er würde es ja gar nicht merken», sagte Sophie nun mit etwas festerer Stimme. «Er ist in letzter Zeit völlig in sich zurückgezogen. Ich schätze, er hat Geldsorgen – wie alle andern.»
Nach einem kurzen Moment des Schweigens sagte Mum wieder: «Geh nach Hause, sag ich dir. Er wird schon irgendwann zurückkommen. Muss wahrscheinlich einfach mal aus dem Haus, um den Kopf freizukriegen. Jetzt geh schon, Sophie.»
Sie knallte ihr beinahe die Tür vor der Nase zu, dann lehnte sie sich dagegen, als befürchte sie, Sophie könnte sie wieder aufstoßen und noch mal fragen:
Ist er hier? Ist er hier?
Snell drehte sich um und sah Mum an, und Byrne blickte mit feuchten Augen von seinen Händen auf. Man spürt immer gleich, wenn Mum einen Geistesblitz hat. Sie ist sonst immer so geschäftig, und wenn sie dann einmal innehält, kommt alles um sie herum zum Stillstand, und jeder will wissen, was los ist.
«Was?», fragte Snell.
«Weißt du jetzt doch, wo er ist?», fragte Byrne.
«Hast du sie
angelogen
?», fragte Snell.
«Mum?», fragte ich.
Doch sie war ganz in Gedanken versunken. Sie schien in weite Ferne zu blicken, und ihr Gesicht war wie versteinert. Plötzlich machte sie mir Angst.
Dad tauchte im Türrahmen auf. «Schon wieder Sophie?»
Mum schien ihn gar nicht wahrzunehmen.
«Das ist schon der dritte Abend hintereinander», sagte er.
«Als ob ich das nicht bemerkt hätte.» Doch sie klang nicht verärgert.
«Was er wohl treibt?», sagte Dad – nicht so, als würde es ihn wirklich kümmern, sondern als hoffte er, sie zu beruhigen, indem er aussprach, was ihr vermutlich durch den Kopf ging.
«Hast du ihm Geld geliehen?», fragte sie, plötzlich aus ihrer Grübelei erwacht.
Erschrocken wich er einen Schritt in den Flur zurück. «Nein! Wie kommst du denn darauf? Warum sollte ich ihm Geld geben und dir nichts sagen?»
«Das weiß ich nicht. Ja, warum? Wofür war es?»
«Ich schwöre dir, das hab ich nicht, ich
schwör’s
dir!»
Snell und Byrne war das Lachen vergangen. Mit weit aufgerissenen Augen und gespitzten Ohren versuchten sie wie ich, aus dem Wortwechsel schlau zu werden.
Dad sah aus, als ob er die Wahrheit sagte, er
klang
auch so, doch als Mum ihn ansah, verzog sie den Mund auf ihre eigene Weise, kräuselte die Mundwinkel nach innen.
Sie holte ihren Mantel hinter der Tür hervor. Angst hüpfte mir die Kehle hoch – wollte sie uns verlassen, so wie Frog Davvens Mum alle im Stich gelassen hatte? Ich sprang auf die Füße.
«Wo willst du hin?», fragte Dad vorwurfsvoll.
«Den Jungen suchen und nach Hause schleifen.»
«Und wenn er bei einem Freund ist?» Dad trat wieder vom Flur herein. «Er war früher oft oben bei Fernly, um Musik zu machen. Fernly hat Geige gespielt und Nase gesungen. Was wäre denn so schlimm dran, wenn er wieder damit angefangen hat?»
Ich schob mich zur Tür, sah meine Eltern abwechselnd an.
Mum zog ungestüm ihren Mantelkragen nach oben; um ein Haar hätte sie sich dabei selbst den Kopf abgerissen. «Nichts. Nur dass er nicht bei Fernly
ist
.»
«Ach, und da bist du dir sicher.»
«Ja», gab sie harsch zurück. «Da bin ich mir sicher.» Und damit war sie zur Tür hinaus.
«Und woher willst du das wissen? Hat er’s dir gesagt?» Doch sie verschwand hinter einem Türenknallen. Er taumelte zurück, als hätte sie ihm einen Schlag versetzt.
Ich schnappte mir meinen Mantel, während er noch ein Stück weiter zurückwich.
«Sie hat den Verstand verloren», sagte er.
Ich riss die Tür auf. «Ich hol sie zurück!», rief ich ihnen zu; Snell und Byrne standen auf der anderen Seite des Zimmers, ihre Gesichter spiegelten Dads Ausdruck wider. Dann waren sie verschwunden, und ich rannte durch die
Weitere Kostenlose Bücher