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Seeherzen (German Edition)

Seeherzen (German Edition)

Titel: Seeherzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margo Lanagan
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kurz davor, konnte ich nicht anders, als unseren Handel noch einmal auf seine Gültigkeit abzuklopfen, mich zu vergewissern, dass alles blieb wie besprochen. Ich hatte das Geld in Ables Jacke, das der Wind auf seinem Bauch auf und ab hüpfen ließ, bereits auf vielfältige Weise verplant. Als Erstes würde ich mir ein Paar neue Stiefel kaufen, nicht die klobigen von Hardbellow, in denen ganz Rollrock herumlief, sondern welche, die in Cordlin gefertigt wurden, aus weichem Leder und eleganter.
    «Dann komm», sagte ich. Ich wollte vermeiden, dass er kurz vor dem Geschehen kniff oder mich mit irgendwelchen lästigen Einwänden des Pfarrers behelligte. Ich winkte ihn zum Anfang des Küstenpfads. «Du gehst vor.» Wenn ich hinter ihm ging und er im letzten Augenblick doch noch versuchen sollte, Reißaus zu nehmen, konnte ich ihm den Weg abschneiden und ihn zur Not mit ein paar Ohrfeigen wieder zur Vernunft bringen – oder besser davon
abhalten
, wieder zur Vernunft zu kommen, denn das hier war alles andere als ein vernünftiges Unterfangen. Ich wollte, dass er weiter verblendet vor sich hin träumte. Ich wollte, dass er weiterhin dümmlich und gierig an seine zukünftige magische Frau dachte.
    «Und welche nehm ich jetzt?», fragte er, als ich hinter ihm auf den Sand trat. «Eine von hier vorne oder weiter hinten? Oder aus der Mitte?»
    «Ich weiß es nicht – nimm die, die dir am besten gefällt. Such dir eine aus, die gesund aussieht, ein Prachtexemplar von einer Robbe. Die da drüben. Oder was ist mit der da?»
    «Mann, wie die stinken! Muss ich ihr erst beibringen, wie man das Klo benutzt?»
    «Hast du Fishers gefragt, ob sie hinter ihr herwischen mussten?»
    Er verzog das Gesicht. Ich schlug ihn auf den Arm. «Dummkopf. Als ob dir das noch was ausmacht, wenn sie erst mal nackt aus ihrer Hülle steigt. Nun komm schon, Able, wähl eine aus. Lass uns anfangen.»
    Schließlich machte ich ihn mit meinen Vorschlägen und Gesten gefügig, und er konzentrierte sich, bahnte sich den Weg zwischen den sackartigen Körpern hindurch. Einige hoben die Nasen und schnüffelten hinter ihm her, fixierten ihn mit ihren dunklen feuchten Augen, andere lagen nur wie betäubt da, sonnenwarme Säcke, kaum lebendiger als die Felsen, auf denen sie faulenzten. Etwas abseits der Menge hievte sich der Bulle empor, doch nicht unser Eindringen hatte ihn aufgeschreckt, sondern ein anderer Bulle, der sich aus einer kleinen Gruppe heraus aufbäumte, die mürrisch im Seichtgewässer trieb. Sie robbten aufeinander zu, um zu kämpfen – zwei klobige Wutklumpen; wie konnte mein Frühlingsliebhaber einem solchen Untier entstiegen sein? Und wo war mein kleiner Ean jetzt, unser unter dem Frühlingsmond gezeugter Sohn? Hatte ich vielleicht alles nur geträumt – dass ich ihn zur Welt gebracht, gestillt und in Seetangdecken eingewickelt hatte? Ich wünschte, es wäre nur ein Traum gewesen, doch bei dem Gedanken an ihn und beim Anblick seines Vaters, der mich ignorierte, der zu beschäftigt war mit seinem Untier-Leben, um mich überhaupt zu bemerken, begann alles in mir zu schmerzen. Ich wusste nur zu gut, dass alles wirklich geschehen war.
    «Die hier. Die nehm ich.» Able hatte eine Robbe ausgewählt, die überwiegend braun statt grau war. Besitzergreifend legte er eine Hand darauf.
    «Lass mal sehen. Schön gleichmäßig gefärbt, was? Sieht aus wie nagelneu. Eine gute Wahl. Jetzt halt dich bereit. Ich will nicht, dass sie wie ein frischgeschlüpftes Küken hinter mir herwatschelt, weil sie beim Herauskommen nicht als Erstes dich gesehen hat.»
    Ich löste die Bänder. Schlagartig wandten die Robben sich mir zu, als hätte der Wind sich plötzlich gedreht.
    «Was ist hier los?», fragte Able und warf einen ängstlichen Blick auf die Meute.
    «Nichts Schlimmes.» Ich blickte der Robbe fest in die Augen. Wie viel selbstsicherer ich mich dieses Mal fühlte! Mein Geist schien anzuschwellen, und ich wurde von großer Gutmütigkeit durchflutet, während ich das Tier nach dem Mädchen durchsuchte, die Körnchen, Rinnsale oder Funken zum Zentrum zog. Ein fahler Umriss bildete sich in ihrer Mitte heraus, wie eine Mandel in ihrer Schale, und das Robbenhafte wurde nach außen gedrängt, wurde zum Fruchtfleisch, zum Pelz. Ich ging mit großem Bedacht vor, überprüfte mehrmals, ob ich irgendein Licht in ihr übersehen haben könnte. Schließlich hob ich beide Hände, bildete damit einen Bogen, konzentrierte meine Kräfte, räusperte mich und spaltete den

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