Seeherzen (German Edition)
Ihr werter Gatte?»
Wieder merkte ich, dass Mum ihr den Namen nicht verraten wollte. «Odger.»
«Odger, natürlich. Odger Winch», hauchte sie hastig, und ich musste an meinen alten Dad denken, an seinen Gesichtsausdruck, nachdem Mum ihm die Tür vor der Nase zugeknallt hatte, und es brach mir das Herz, wie wehrlos er war, wie wehrlos Naseby, Snell und Byrne waren – und sogar Mum, wie sie hier stand und die Hexe eine Demütigung nach der nächsten aus ihr herauswand, wie wir beide ihr mitten in der Nacht auf Gedeih und Verderb ausgeliefert waren, vor ihrem riesigen Haus mit ihrem prächtigen Garten drum herum, der genau geplant, angelegt und bezahlt worden war. «Dann grüßen Sie Mr. Winch schön von mir.» Sie wiegte sich hin und her, als wäre der Gedanke daran so witzig, dass er wehtat. Sie ist bestimmt ein bisschen betrunken, dachte ich.
Mum drehte sich zu mir um. «Komm, Bet.» Sie stieg die Stufen hinunter.
Misskaella stieß sich vom Türpfosten ab, hob die Laterne in die Höhe und blickte mich mit einem grotesken Gesichtsausdruck an, aus dem verletzte Unschuld sprechen sollte. Ich drehte ihr schnell den Rücken zu und eilte Mum hinterher.
«Gute Nacht, Nance Winch! Gute Nacht, Elizabeth!» In ihrer Verabschiedung schwangen jede Menge Beleidigungen mit, überzogen mit einer dicken Schicht Genugtuung.
Als ich das Tor hinter mir zuzog – Misskaella stand immer noch schaukelnd und rauchend in der Tür, blickte uns nach und lachte höchstwahrscheinlich über uns –, hatte Mum bereits ein ganzes Stück auf der Straße zurückgelegt. Ich musste rennen, um sie einzuholen. «Und wohin willst du jetzt?», presste ich hervor, als wir den höchsten Punkt der Hauptstraße passierten.
«Bloß weg hier, wo sie uns nicht mehr sieht, damit ich mich wieder fassen kann. Dreh dich nicht um.»
Doch das hatte ich bereits getan. Die Hexe wiegte sich im Türrahmen, der vom Licht der Laterne erhellt wurde, hin und her.
Wir folgten dem Höhenpass. Am ersten Zaunübertritt setzte Mum sich hin, den Kopf vornübergebeugt.
Wir rangen nach Luft. Als wir uns erholt hatten, blieb sie immer noch sitzen und dachte nach.
«Glaubst du wirklich, Naseby würde zu ihr gehen?», traute ich mich zu fragen.
«Wir hätten längst wegziehen sollen. An dem Tag, an dem Able Marten seine Ivy gekauft hat, hätten wir wegziehen sollen – so wie die Summers.»
«Aber vielleicht stimmt es, was Dad gesagt hat, und er ist nur beim Musikmachen. Woher willst du wissen, dass das nicht stimmt?»
«Weil Geld dahintersteckt. Geldsorgen. Sophie macht sich Sorgen, und Odge verhält sich merkwürdig. Aber hat Misskaella Geldsorgen? Oder Floss Granger? Die hat erst heute Morgen unten in Fishers Laden ein Paar neue Schuhe für sich bestellt:
Etwas Adrettes
, hat sie gesagt, als Fisher es im Auftragsbuch notiert hat. Floss Granger trägt ihre Schuhe sonst so lange, bis ihre
Fußknochen
rausgucken. Und Maces Töchter – alle in neuen Kleidern. Das Fischen bringt also genug Geld ein, aber Naseby lässt es hinter Sophies Rücken verschwinden, und Odge hilft ihm – wobei auch immer. Was sollte sonst dahinterstecken?»
«Ein Musikinstrument?», schlug ich vor. «Eine Geige, wie die von Fernly. Oder eine Kuh? Er hat öfter von Viehzucht gesprochen. Ein Stück Land zum Pflügen?»
«Das wüsste ich. Das hätte er mir erzählt. Daraus würde er doch kein Geheimnis machen. Irgendwie hat er deinen Vater eingewickelt. Aber wo steckt er bloß?»
«Vielleicht ist er schon wieder zu Hause und sitzt mit Sophie am Tisch.»
«Irgendein alter Stall oder Schuppen, wo ihn niemand hören und sehen kann. Streng dein Gehirn an, Bet.»
«Das ist doch Quatsch, Mum – wir reden von
Naseby
! Weißt du nicht mehr, wie glücklich die beiden an ihrem Hochzeitstag waren? Er hat gesagt, davon hätte er geträumt, seit er mit uns Vater-Mutter-Kind gespielt hat, draußen am Six Mile –»
Ich unterbrach mich, und wir starrten einander an.
«Stony Cottage», sagte Mum, und wir beide wussten, dass sie recht hatte.
Wir schlugen den Weg zur Crescent Road ein, rannten stolpernd das Feld hinunter; wie Inseln lagen die Kühe dort, und wir liefen durch das Meer aus Gras und Steinen zwischen ihnen hindurch. Sobald wir die Straße erreicht hatten, hielten wir die Köpfe gesenkt und schritten schweigend voran. Ich wollte es einfach nicht glauben, aber wenn Mum es glaubte, wie konnte es dann nicht wahr sein? Naseby, mein großer sanftmütiger Bruder? «Aber wie könnte er bloß
Weitere Kostenlose Bücher