Seeherzen (German Edition)
keinen Augenblick länger aus. «Ich habe mir eine Robbenfrau genommen», sagte ich mit sanfter Stimme, als würde es sie auf diese Weise weniger verletzen.
Alle Freude wich aus ihrem Gesicht – nie wieder würde ich sie dort sehen. Mit einem leisen Schrei rief sie: «Hab ich’s doch gewusst!», und knickte in der Körpermitte ein, als hätte ich ihr einen Fausthieb versetzt. Dann setzte sie mit belegter Stimme nach: «Ich hätte dich nicht gehen lassen dürfen.» Sie richtete sich auf, trat ein paar Schritte in den Raum hinein, ging wieder ein Stück zurück, nahm in dem hohen Lehnsessel neben der Tür Platz und verbarg das Gesicht in den Händen. «Erzähl mir», sagte sie in ihre Hände hinein. Dann blickte sie auf – voller Verachtung und mit kreidebleichen Lippen –, «was passiert ist.»
«Sie ist aus dem Meer gekommen.» Ich drückte die Schulterblätter gegen den Kaminsims. «Aus eigenem Willen.»
«Hat dich dort stehen sehen, ja? Konnte dir nicht widerstehen?» Ich wusste auf einmal, wie Kitty als alte Frau aussehen würde – mit diesen verbittert zusammengekniffenen Lippen, aber ohne die Rundlichkeit in ihrem Gesicht.
«Ich hab sie am Strand gefunden.» Ich hatte wieder Misskaella vor Augen, wie sie sich betend über die Robbe beugte, wie das Fleisch aufklaffte und im Mondschein feucht glitzerte.
«Was hattest du am
Strand
zu suchen – bist da hoffnungsvoll hin und her spaziert? Du solltest ein Haus verkaufen und zwei Sessel verpacken, nicht auf der Insel rumlaufen und Ärger suchen!» Ich konnte sehen, wie sie unsere Kinder zurechtgewiesen hätte, die schmale Linie ihrer Lippen.
«Ich hatte alles erledigt, was es an dem Tag zu tun gab. Davor war ich zum Abendessen bei Shy Tyler und seiner Frau Fam und ihrem kleinen Sohn …» Ihr missbilligendes Schweigen brachte meine Stimme zum Ersterben.
«Aha», sagte sie. «Du bist also hier, um mir zu sagen, dass du mich nicht mehr heiraten willst.» Sie hob die Hand und ließ sie – beinahe wie einen Schlag – auf ihren Oberschenkel fallen.
«Ich wünschte, ich
könnte
dich heiraten», sagte ich aufrichtig, «um dir die Peinlichkeiten zu ersparen –»
«Ich wünschte, du könntest mich aus besseren Gründen heiraten.» Ihre Stimme klang tief und schneidend. «Ich wünschte, du könntest mich aus Liebe heiraten, die du ja angeblich für mich empfunden hast und die beständig genug war, bevor du auf dieses Schiff nach Rollrock gestiegen bist. Du bist nicht der Mann, für den ich dich gehalten habe, wenn du so schnell von dem Weg abkommst, den wir gemeinsam gehen wollten.»
«Ich bin nicht einmal der Mann, für den
ich
mich gehalten habe», sagte ich. «Was soll ich sagen? Ich bin verhext.» In diesem Moment stand es mir klar und deutlich vor Augen: Es war Misskaellas Machwerk, Misskaellas Schuld.
«Du bist
dumm
», zischte sie, «dass du dich hast verhexen lassen. Dass du dich zur Zielscheibe gemacht hast.»
Zwei Sessel
, hast du gesagt.
Ich fänd’s sehr schön, sie bei uns zu Hause zu haben, Mums und Dads Sessel Seite an Seite.
Aber das sollte mich ja eigentlich nicht überraschen …»
Während sie redete, war ich durch den Raum auf sie zugegangen. «Nein, Kitty, so war es nicht! Ich hab vorher nicht überlegt, ich wollte dich nicht hintergehen, ich schwör’s dir! Ich bin genauso überrascht wie du!» Obwohl ich es nicht sein sollte, wie mir soeben klarwurde. Warum sonst hatte ganz Rollrock eine solche Heidenangst vor der Hexe, wenn nicht deshalb, weil sie uns in ihre Falle locken konnte, wann immer sie wollte?
Kittys Augen waren leblos, ihre Lippen zusammengepresst. Ihre Sommersprossen schienen wie ein Schwarm rotbrauner Insekten direkt vor ihrem Gesicht zu schweben. «Nur leider bedeutet diese Überraschung für
dich
, dass du mit einer Zauberfrau anstolziert kommst und dir eine ganze Insel voller Männer anerkennend auf die Schulter klopft. Und was hab
ich
von dieser Überraschung? Einen Haufen Leute, denen ich Rede und Antwort stehen muss, ein Essen, das bezahlt werden muss – einen
Kuchen
, Herrgott noch mal! Und dazu das Wissen, dass man mich zum Narren gehalten hat, dass mein langjähriger Liebster nie wirklich mir gehört hat. Eine Meerjungfrau muss nur einmal mit den Flossen wackeln, und schon ist er weg.»
«Ich schwöre dir, Kitty, ich habe mir nie gewünscht, dass es so kommt! Ich hatte nie solche Hintergedanken!»
«Oh, das hat mit
Denken
nicht viel zu tun, Dominic», sagte sie und lachte bitter. «Mit Verstand
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