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Seeherzen (German Edition)

Seeherzen (German Edition)

Titel: Seeherzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margo Lanagan
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Familie und meinen Freunden nie wieder näherst.»
    Sie verließ das Wohnzimmer und blieb neben der Tür stehen, um mich in den Flur hinaustreten zu lassen. Ihr Gesicht war kreidebleich, ihr Körper eisern; ihre Pantoffeln waren über jedem Zeh mit einer Rose bestickt, Rankenornamente zierten die Aufschläge ihres Nachthemds, doch keins dieser Details vermochte den Gesamteindruck abzumildern.
    Ich blieb vor ihr stehen, sah ihr ins Gesicht. Sie wich meinem Blick so lang wie möglich aus, dann sah sie mich flüchtig an. «Geh jetzt», sagte sie. «Ich will dich nicht länger in meinem Haus haben.»
    «Es tut mir leid, dass ich dich verletzt habe, Kitty.»
    «Nun, das ist ausgesprochen vornehm von dir.» Ihre Stimme dröhnte in meinem Ohr, während ich mich von ihrem Zorn abwandte. «Aber ich bin noch immer verletzt und werde ganz gewiss länger verletzt sein, als es dir leidtun wird. Jetzt geh und such in den Armen dieses Monsters Trost. Von mir aus kann’s dir dort leidtun. Beim Anblick deiner reumütigen Schmierenkomödie wird mir
schlecht

    Sie hätte mich ebenso gut anspucken können. Sie rauschte an mir vorbei und riss die Tür auf. Die vordere Veranda war ebenfalls elektrisch beleuchtet; wie oft hatte ich hier geklingelt, in dem goldenen Glanz darauf gewartet, dass mich jemand aus der Familie hereinließ und begrüßte, mich darauf gefreut, Kitty im Tanzkleid die Treppe heruntereilen zu sehen.
    Ich trat aus dem Haus hinaus; als ich mich noch einmal umdrehte, sah ich gerade noch, wie die Tür mit stiller Endgültigkeit hinter mir zufiel. Kitty ließ das Licht an, bis ich das Eingangstor schloss – vermutlich wollte sie mir damit zeigen, dass sie sich noch immer an zivilisierte Verhaltensregeln hielt, egal, wie weit ich mich selbst davon entfernt hatte.
    Wie betäubt ging ich davon. Ich holte die Meermünze hervor und drückte sie mir an die Lippen, versuchte, ein wenig Meeresduft einzuatmen, doch sie roch nur nach meinem Angstschweiß. Ich schob sie zurück in die Tasche und ging weiter.
    Ich hatte einen Scherbenhaufen in Kittys Haus zurückgelassen. Noch nie hatte ich mich irgendwo so unbeliebt gemacht, und die Dinge, die Kitty zu mir gesagt hatte, hatten mich tief getroffen. Ich war erschüttert, nicht mehr in der Lage auseinanderzuhalten, welcher ihrer Vorwürfe gerechtfertigt und welcher nur ihrer Bitterkeit entsprungen war. Ich hatte das Gefühl, mich selbst kaum zu kennen. Vielleicht hatte ich mich nie richtig gut gekannt. Konnte ich wirklich so niederträchtig sein, ohne es je selbst bemerkt zu haben?
    Um mich etwas aufzuheitern, versuchte ich mich in Gedanken an Neme zu klammern, doch sie erschien mir fast unecht; grell, hart und schmähend beherrschte Kitty meinen Verstand, die Krallen ihrer Stimme zerfetzten mein Selbstvertrauen, sodass ich nicht an ihr vorbeidenken und bis zu meiner sanften Neme vordringen konnte, zurück zu dem Moment am Strand, in dem Neme mir die Meermünze gegeben hatte, zurück zu unseren gemeinsamen Nächten. «Meerjungfrau» hatte Kitty sie genannt – und «Monster»; wie konnte ich ein Monster heiraten wollen?
    Doch Neme war nichts von alldem. Sie war meine Neme, von mir ebenso verzaubert wie ich von ihr, und sie erwartete mich auf Rollrock, in dem bescheidenen, abgelegenen, spärlich eingerichteten Zuhause, wo ich hingehörte. Sie war alles, was ich hatte, und alles, was ich brauchte. Ich ging durch Cordlin, zum Haus meiner Tante, der ich morgen, bevor ich die Insel verließ, die gleiche Botschaft überbringen würde, die ich Kitty soeben übermittelt hatte. Beim Laufen stieß ich Kitty und Cordlin aus meinen Lungen hinaus, den ganzen Festland-Firlefanz und Trubel, mit dem ich mein Leben angefüllt hatte, und atmete die Schlichtheit ein, zu der ich nun zurückkehren würde – den kalten Wind, der direkt vom Meer herüberweht, den Geruch der Petroleumlampen, den würzigen Feuerholzrauch und schließlich den feuchten Seegrasgeruch von Nemes Haar. Ich schloss die Augen und verbarg mein Gesicht in ihren Haaren; ich spürte ihre schmalen Arme um mich herum, hörte ihre tiefe Stimme, in der keinerlei Zorn und Vorwurf lagen.
Such in den Armen dieses Monsters Trost
, hatte Kitty gesagt. Doch ich suchte keinen Trost, sondern Wahrheit – die Wahrheit über mich selbst, einen Mann, der nichts vortäuschte, nicht nach einem protzigen Haus, seltenen Gegenständen oder beeindruckenden Freunden strebte; ein Mann, der vollständig war, der in sich ruhte und genau wusste, wer er

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