Seeherzen (German Edition)
war wie die Ohrmuschel eines Menschen. «Halt sie in der Tasche fest, während du mit Kitty redest», sagte sie, «und denk dabei an mich.» Sie schloss meine Finger um die Meermünze, noch immer flackerte ein Hauch des Zweifels in ihren Augen.
«Das werde ich», sagte ich. «Mach dir keine Sorgen. Was soll ich noch sagen, damit du mir glaubst? Das hier ist etwas anderes, das ist wahre Liebe; ich bin machtlos, was das hier angeht, während ich bei Kitty die Wahl habe – ich kann bei ihr bleiben oder sie verlassen, wie mir jetzt klarwird.»
«Wer weiß, was dir sonst noch so alles klarwird?» Sie schob meine Hand mit der Muschel darin in meine Manteltasche.
Ich ließ die Muschel hineinfallen und nahm Neme in den Arm. Ich versuchte, sie mit all meiner Wärme, in die ich sie einhüllte, mit all meiner Kraft, die ich in die Umarmung legte, und mit der Länge und Tiefe all meiner Küsse davon zu überzeugen, wovon ich mehr als überzeugt war, was ich bis in die Knochen hinein spürte, bis in meine tiefsten Eingeweide, aus tiefstem Herzen: dass ich mit Leib und Seele ihr gehörte, solange ich lebte, und dass ich sie niemals verlassen würde, es gar nicht konnte, weil ich ihr für immer hilflos und hoffnungslos verfallen war.
«Um diese Uhrzeit?», sagte Mrs. Flaming an der Tür. «Wir liegen schon fast im Bett!»
«Ich habe wichtige Neuigkeiten für Kitty», sagte ich. «Es kann nicht warten.»
«Ihr jungen Leute glaubt immer, es könnte nicht warten. Dann komm halt rein, hier ins Wohnzimmer.» Sie sah verärgert aus, weil ich ihr Unannehmlichkeiten bereitete – und das war noch der freundlichste Blick, mit dem sie mich je wieder ansehen würde. Ich sah ihr nach, wie sie den Korridor entlangeilte, dann betrat ich das Wohnzimmer, das im Schein der neuen elektrischen Lichter erstrahlte, auf die die ganze Familie so stolz war.
Jeder Leuchter, jede Seidenblume, jede Landschaft an der Wand hatte einmal den Glanz meiner Liebe zu Kitty in sich getragen und verstärkt, doch nun schien jeder einzelne Gegenstand nur selbstzufrieden vom wohlverdienten Komfort zu erzählen und der Befürchtung, man könnte für geschmacklos gehalten werden. Allein schon diese Vorhänge! Wie viele Lagen Stoff benötigte man denn vor einem Fenster, wie viele Quasten und Fransen, um das Licht und die Kälte draußen zu halten, sich vor neugierigen Blicken zu schützen? Langsam ging ich durch den Raum auf die vergitterte Feuerstelle zu, auf den mit Bildern und Statuetten überladenen Kaminsims. Es fühlte sich an, als trüge ich sein ganzes Gewicht auf meinen Schultern. Wie hatte ich derartigen Dingen vorher einen Sinn abringen können? Mein kurzer Aufenthalt auf Rollrock hatte genügt, um Räume wie diesen aus meinem Kopf zu verdrängen, die vielen Details, den übertriebenen Aufwand und das Anfüllen von Wohnraum. Was brauchte man denn schon, außer einem Sessel und einem Kamin – und einem zweiten Sessel, in dem Neme eingerollt saß und verträumt zu mir herüberblickte? Gab es denn ein gemütlicheres Licht als den Schein einer Petroleumlampe, in dessen dunklen Ecken noch Platz für Geheimnisvolles blieb?
Kittys schnelle Schritte hallten im Flur; fürchterliche Angst durchflutete meinen Kopf und wirbelte in meinem Magen herum. Dann stand sie im Türeingang, und ich blickte auf, um ihr in die Augen zu sehen. Ihr Gesicht wirkte offen und arglos, als hätte sie schon geschlafen, ihre Haare waren hastig hochgesteckt worden, feine Locken fielen daraus hervor. Nie hatte sie schöner ausgesehen. Sie freute sich, mich zu sehen, war überrascht und belustigt. Sie dachte, ich wäre gekommen, weil ich es nicht aushielt, ins Bett zu gehen, ohne sie vorher noch einmal gesehen, im Arm gehalten und mich unserer Verbundenheit erneut vergewissert zu haben.
Ich könnte sie einfach mit einem Lächeln in Sicherheit wiegen. Ich könnte auf sie zugehen und in die Arme schließen – ich wusste genau, wie sie sich anfühlen würde, ihre abenteuerlichen Kurven, die mich noch vor kurzem so erregt hatten. Ich könnte mich ganz nüchtern dafür entscheiden, alles, was ich auf Rollrock getan hatte, ungeschehen zu machen. Ich könnte es gestehen, ich könnte es auch leugnen; ich könnte unter einem Vorwand noch einmal zur Insel zurückkehren, Neme ihren Pelz geben und sie wieder ins Meer schicken. Ich könnte meiner Verpflichtung gegenüber der Frau, die hier vor mir stand, nachkommen, und niemand aus Cordlin bräuchte je etwas zu erfahren.
Ich hielt es
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