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Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
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überhaupt zu sehen.«
    Rad zog eine Grimasse. »Das wird eine stille Beerdigung.«
    »Ich war noch nie auf einer Beerdigung«, sagte ich.
    Das Cottage in Half Moon Street war immer noch verlassen und mit Brettern vernagelt, obwohl eines der Bretter im ersten Stock abgefallen war, was dem Haus ein einäugiges Aussehen gab. Es waren viele Leute dort, die am Wasser spazieren gingen oder im Gras saßen. Es war kein Wetter zum Sonnen oder Schwimmen - die Wolken waren herangezogen, als wir Hand in Hand vom Parkplatz am Pub hinunterliefen. Wir gingen automatisch zu der Stelle, die wir beim letzten Mal belegt hatten, setzten uns und aßen unsere Sandwiches und den Treacle Tart. Ich bot Rad die beiden Äpfel an, damit er sich einen aussuchen konnte, und er nahm freundlicherweise den übel zugerichteten, wartete, bis ich meinen aufgegessen hatte und warf seinen dann im hohen Bogen ins Gebüsch. Wir hatten nicht daran gedacht, uns etwas zu trinken mitzunehmen, und die Kombination aus Erdnussbutter, Sirup und den Gebäckstückchen von gestern machte uns sehr durstig.
    »Soll ich uns im Pub was holen?«, fragte Rad, sprang auf und wischte sich die Krümel von der Jeans.
    »Es ist zu weit«, protestierte ich halbherzig: Es war über eine Meile bis zum Pub, aber ich war bereit, den Kopf in den See zu stecken, wenn ich nicht bald etwas zu trinken bekam. »Soll ich mitkommen?«
    »Nein, ich renne.« Und er lief befangen los, weil er wusste, dass er beobachtet wurde.
    Ich warf die matschige Kruste einer Entenflottille am Ufer hin. Kurz darauf gesellten sich ein paar Kanadagänse zu ihnen. Verärgert darüber, zu spät gekommen zu sein, wateten sie aufs Gras und näherten sich mir schreiend, sodass ich gezwungen war, den Rückzug anzutreten.
    Als Rad mit zwei gut geschüttelten Colaflaschen den Weg wieder heruntergejoggt kam, hatten die Gänse aufgegeben und ließen sich wieder ins Wasser plumpsen; die ersten dicken Regentropfen fielen. Auch wenn der Himmel am Horizont blau war, über uns war es schwarz. »Das ist bloß ein Schauer«, sagte Rad, als die Wolken sich öffneten und der Regen herunterprasselte wie Speere. Die wenigen anderen Leute, die sich noch am Seeufer befanden, stürzten in den Schutz der Bäume. Wir hatten keine Chance, es bis zum Auto zu schaffen. Innerhalb von Sekunden wären wir nass bis auf die Haut. »Komm mit«, befahl Rad, warf sich die Decke über die Schultern und watete durch kniehohes Gras und Mohnblumen zum Cottage. Er spähte durch einen Bretterspalt. »Das ist okay«, sagte er. »Da sind sogar ein paar Möbel.« Die Haustür war abgeschlossen, aber die Hintertür, morsch und bröckelig, war durch ein rostiges Vorhängeschloss gesichert, das in Rads Händen auseinander fiel. Rad lehnte sich sanft gegen die Tür, die sich rumpelnd öffnete und einen Bogen in die Steinplatten kratzte.
    Drinnen war es dunkel und kühl und es roch nach Ruß. Dünne Lichtstrahlen aus Löchern und Ritzen in den Brettern streiften Wände und Boden. Die »Möbel« bestanden aus einem gusseisernen Küchenherd und einer Couch, deren Sitze herausgerissen worden waren, sodass man die Sprungfedern und das Gurtband sehen konnte. Durch einen Türbogen war ein weiteres Zimmer zu sehen, das offensichtlich leer war. Rad ließ die Decke vor dem Herd auf den Steinboden fallen und setzte sich. Er reichte mir eine von den Flaschen. »Nicht ...«, war alles, was er sagen konnte, bevor ich den Verschluss aufdrehte und eine schäumende Colafontäne auf uns niederregnen ließ. »Ich nehme an, du willst jetzt meine trinken«, sagte er, als wir uns die Gesichter abgewischt hatten.
    »Nein«, sagte ich tapfer. »Es sind noch vier Zentimeter drin.« Er drehte seine immer nur ein kleines Stück auf, bis sie zu zischen aufgehört hatte, und reichte sie mir dann.
    »Trink ruhig.«
    Als wir die Flaschen ausgetrunken hatten, stellte ich mich ans Fenster und lauschte dem Regen, der auf das Sperrholz trommelte. Rad lag inzwischen auf der Decke, auf einen Ellbogen gestützt, drehte müßig an der leeren Flasche und wartete auf mich. Ich spürte, wie die Verlegenheit in mir aufstieg wie heiße Lava. In solchen Situationen verschlägt es mir entweder die Sprache oder ich fange an zu plappern. In diesem Fall siegte das Schweigen. Ich weiß nicht, wieso ich so sehr zögerte. Ich bin keine so hoffnungslose Romantikerin, dass ich mir vorgestellt hatte, ich würde meine Jungfräulichkeit in meiner Hochzeitsnacht zwischen weißen Satinlaken in einem Himmelbett

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