Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
saubere Nachtwäsche, ihre Haarbürste mit dem Elfenbeinrücken und den Agatha-Christie-Sammelband, das einzige Buch, das ich sie je lesen sah, in ihre Tasche gepackt.
    Währenddessen hatten Rad und ich sein Auto mit der Hundedecke von der Chaiselongue und einem Picknick bepackt, das aus Erdnussbutter-Sandwiches, ein paar relativ weichen Äpfeln und dem restlichen Treacle Tart vom Tag zuvor bestand. Rad nahm kein Buch mit - eine Tatsache, die mir bedeutsam erschien. Als ich die Äpfel wusch von denen einer ominöse Löcher hatte, als hätte ein kleiner Hund ihn zwischen die Zähne genommen und dann fallen lassen kam Rad mit zwei Handtüchern in die Küche. »Wollen wir Schwimmzeug mitnehmen?«
    »Dort ist schwimmen verboten«, erinnerte ich ihn.
    »Wenn niemand da ist ...«
    »Da sind immer Leute.«
    »Vielleicht auch nicht. Es ist nicht so sonnig.«
    »Wenn es kalt genug ist, um die Leute von dort fern zu halten, ist es auch zu kalt zum Schwimmen«, bemerkte ich.
    i ¿L
    »Wollen wir sie trotzdem mitnehmen, nur für den Fall?«
    »Rad, du weißt doch, dass ich nicht schwimmen kann.«
    »Ich bringe es dir bei.«
    »Ich will es nicht lernen.«
    »Du musst aber.«
    »Muss ich nicht.«
    Rad seufzte und brachte die Handtücher wieder in den Wäscheschrank. Wir sprachen nicht viel auf der Fahrt. Zwischen uns lag eine Verlegenheit, die etwas mit meiner Weigerung zu schwimmen zu tun hatte, aber auch mit etwas anderem. Das letzte Mal, als wir in Half Moon Street gewesen waren, war vor einem Jahr, mit Frances und Nicky. Rad hatte uns alle zum Lunch eingeladen, wir hatten im Gras gesessen, Narziss und Goldmund war im Wasser gelandet, wir hatten auf der Heimfahrt Eis gegessen, Rad und ich waren nur befreundet gewesen: Wir waren alle glücklich. Heute war ich nervös. Wenn ich das Falsche sagte oder tat, würde er mich fallen lassen?
    Rad fummelte am Radio herum, dem außer Zischen und Knacken und ab und zu einem Schwall Deutsch nichts zu entlocken war.
    »Ich hoffe, Auntie Mim erholt sich schnell wieder«, sagte ich irgendwann. »Sie muss aufgepäppelt werden - aber ich glaube nicht, dass sie dort jeden Tag Kartoffeln und Rosenkohl auf der Speisekarte haben.« Sie hatte schrecklich ausgesehen, als Mr. Radley ihr ins Auto geholfen hatte. Ich hatte sie bis dahin kaum in Bewegung gesehen - sie hatte immer in ihrem Sessel gesessen - und mir war plötzlich aufgefallen, wie winzig und gebrechlich sie war. Wenn sie in der Einfahrt gefallen wäre, wäre sie bestimmt in tausend Stücke zersplittert. Die Knochen meiner Granny waren wie Stahl: Sie konnte mit einem Hüftschlag eine Platte zertrümmern. Auntie Mim hatte uns vom Beifahrersitz aus zugewunken; ihre winzigen Finger, mit denen sie sich ans Fenster gekrallt hatte, zitterten.
    »Aufpäppeln?«, Rad lachte. »Du bist vielleicht ein Optimist. Sie wird aus dem Krankenhaus nie wieder rauskommen.«
    »Was meinst du damit?«
    »Leute in ihrem Alter versuchen sie nicht zu kurieren.«
    »Aber sie müssen doch versuchen, Leben zu erhalten, oder?«
    »Ach, sie werden sie an einen Tropf hängen und ›Tests‹ mit ihr machen, aber ... Sie weiß, dass sie nicht zurückkommt. Ich bin in ihr Zimmer gegangen, um zu sehen, ob ich was für sie runtertragen soll, aber sie hatte ihren ganzen Kram in Kisten gepackt, damit Mum ihn zu Oxfam bringen kann.«
    »Nein.«
    »Das ist die Wahrheit.«
    Sie hat ihre Angelegenheiten geordnet, dachte ich erschaudernd. Wir fuhren durch ein Schlagloch, und das Radio sprang plötzlich auf einen hörbaren Sender. »Our Ups shouldn‘t touch, move over darling«, sang Doris Day. Die Sonne schien, im Radio liefen Liebeslieder, Kinder waren mit ihren Fahrrädern unterwegs, und Auntie Mim packte zusammen und zog in den Wartesaal des Todes. Ich dachte an die knochige Hand am Fenster.
    »Sie ist lesbisch. Wusstest du das?«, sagte ich.
    »Doris Day?«
    »Auntie Mim.«
    »Nie im Leben. Das muss eins von Dads Märchen sein.«
    »Nein. Sie hat es mir eines Tages gewissermaßen anvertraut. Sie hat mir das Bild einer Frau gezeigt - ein Schwarzweißfoto, sah wirklich alt aus, muss in den Zwanzigern oder so aufgenommen worden sein - und sagte, sie wäre die Liebe ihres Lebens gewesen.«
    »Was hast du dazu gesagt?«
    »Ich glaube, ich habe gar nichts gesagt. Ich habe sie nur mit offenem Mund angestarrt.«
    »Jetzt, wo du mir das erzählt hast, werde ich sie mit ganz anderen Augen sehen«, sagte Rad.
    »Wenn deine Prognose korrekt ist, wirst du keine Gelegenheit mehr haben, sie

Weitere Kostenlose Bücher