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Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Violine mitgebracht - nichts, was technisch anspruchsvoll war: Wir waren schließlich dort, um Fußgängern die Zeit zu vertreiben, nicht um uns zu überanstrengen. Wie vorauszusehen hatte die andere Hälfte des versprochenen Quartetts in letzter Minute einen Rückzieher gemacht. Ich fragte mich, ob Birdie sie nur erfunden hatte. Als sie ihren leeren Geigenkasten zu unseren Füßen aufstellte und etwas Kleingeld hineinwarf, gingen ein paar Passanten, die unsere Vorbereitungen sahen, schneller.
    Frances, die sich nicht ausgelastet fühlte, verließ uns, als wir unsere ersten Stücke spielten, und machte einen schnellen Rundgang durch die anderen Tunnel und Treppenhäuser, um zu überprüfen, wie weit die Musik zu hören war. »Es klingt schön«, sagte sie, als sie wieder auftauchte, und fügte taktlos hinzu: »Das muss am Echo liegen.«
    Nach einer Weile entspannten Birdie und ich uns langsam. Wir konzentrierten uns weniger auf das Spiel und mehr darauf zu erraten, welche Passanten einen Beitrag zu unserem Pizza-Fonds leisten würden. Dabei kristallisierten sich ein paar allgemeine Prinzipien heraus. Leute, die schneller gingen, die Augen stur geradeaus richteten oder auf ihre Füße starrten, waren hoffnungslose Fälle, ebenso wie Teenager, alte Damen mit Einkaufswägelchen und junge Mütter mit Buggys. Vielleicht hatte es etwas damit zu tun, dass sie die Hände voll hatten. Die leichtesten Opfer waren Männer in Anzügen, besonders wenn sie in Gruppen auftraten: Wenn einer von ihnen etwas gab, beugten sich auch die anderen dem Druck.
    »Glaubst du, Männer sind großzügiger als Frauen?«, fragte ich Birdie, als unsere statistische Stichprobe signifikante Ausmaße erreicht zu haben schien.
    »Nein. Sie haben nur mehr Geld«, lautete ihre Antwort.
    Gelangweilt mit ihrer passiven Rolle, hatte Frances begonnen, Rundgänge als Passantin durch das Tunnelsystem zu machen und zur Ermutigung für andere demonstrativ Münzen in den Geigenkasten zu werfen und sich das Geld wieder herauszuholen, wenn niemand in der Nähe war. »Schön, nicht wahr?«, hörten wir sie zu jemandem sagen, als sie die Treppen hinunter auf uns zukamen.
    »Sehr«, sagte ihre Begleiterin, eine teuer gekleidete Frau, ungefähr im Alter meiner Mutter, und hielt ihre Handtasche fest.
    »Geizkragen«, murmelte Frances, als die Frau blitzschnell einen Bogen schlug, bevor sie in Reichweite unserer Bettelschüssel kam. »Ich gehe was trinken; ich habe furchtbaren Durst«, fügte sie hinzu und bediente sich mit einer Hand voll Kleingeld. »Wollt ihr irgendwas?« Birdie bat um eine Cola.
    Als Frances etwas später zurückkam, bestätigten Krümelspuren auf ihrem Top meinen Verdacht, dass sie sich mit Schokoladenkuchen voll gestopft hatte. Die Cola hatte sie natürlich vergessen. Sie blickte anerkennend auf die Silberschicht in unserem Geigenkasten. »Wir schlagen uns gut«, sagte sie.
    »Wir?«, sagten Birdie und ich und legten zum Protest unsere Bögen nieder. Die Unterführung war ohnehin leer, und wir gönnten uns eine Pause.
    »Ich halte uns schließlich bei Laune, oder?«, sagte Frances- In der Ferne waren Schritte zu hören. »Schnell, fangt an zu spielen«, befahl sie. Ich hoffte, dass es vielleicht Rad war, der versprochen hatte, vorbeizukommen und zuzusehen, wenn er rechtzeitig mit seinem Essay fertig würde. Doch die Gestalt, die um die Ecke bog, war eine unangenehme Überraschung. Er war ungefähr in Rads Alter, möglicherweise älter, mit einem schmalen, weißen Gesicht und einer kleinen Wollmütze. Sein T-Shirt und seine Jeans sahen aus, als hätte er sie schon monatelang am Leib. Er schwankte leicht und murmelte vor sich hin, schlug gelegentlich mit einer Hand gegen die Wand der Unterführung, vielleicht um festen Halt zu finden, oder weil er nichts anderes hatte, das er schlagen konnte.
    Als er uns sah, ging er langsamer - anders als die meisten Leute - und machte eine Art Schlingerbewegung auf uns zu. Ich muss zugeben, dass meine Bogenführung zu diesem Zeitpunkt alles andere als fließend war, aber Birdie neben mir spielte unbeeindruckt weiter. Als er auf unserer Höhe war, blieb er stehen, und einen wahnsinnigen Augenblick lang dachte ich, er würde uns Geld geben. Stattdessen schenkte er uns ein grässliches, lüsternes Lächeln, beugte sich vor und spuckte einen widerlichen grünen Schleimbrocken auf den Boden, etwa acht Zentimeter von Birdies rechtem Schuh entfernt. Unsere Musik brach abrupt ab, und wir drei starrten entgeistert hinter

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