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Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
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nicht ganz so schlimm. Wie ist es bei dir?«
    »Oh Gott, bei uns fallen Millionen von Leuten ein. Dieses Jahr sind wir an der Reihe, obwohl ich ganz sicher weiß, dass ich letzte Weihnachten den ganzen Rosenkohl gemacht habe. Wahrscheinlich gehen wir am ersten Weihnachtstag in Highbury mit Onkel Bill und Tante Daphne essen. Das ist Mutters Bruder. Dann sind wir beim Weihnachtsessen ungefähr achtzehn Leute. Letztes Jahr haben wir am zweiten Feiertag ein Picknick mit nach Hampstead Heath genommen, aber ich nehme an, dieses Jahr wird es in Bromley Common sein.«
    Meine Augen schmerzten langsam vor Neid. »Dein Weihnachten klingt sehr viel aufregender als meins.« Sie versuchte nicht, das zu leugnen. Ich probierte eine andere Taktik. »Ich frage mich, ob deine Familie so aussieht, wie ich sie mir vorstelle«, deutete ich an.
    »Oh, du musst sie mal kennen lernen«, räumte sie endlich ein. »Ich würde dich ja zu uns einladen, nur, nur, ich will dich meiner Familie nicht vorstellen, weil sie dann versuchen wird, dich zu übernehmen - das machen sie immer.«
    »Was meinst du damit?«, fragte ich.
    »Ich kann es nicht erklären. Sie führen sich dann auf, als wärest du genauso ihre Freundin wie meine. Als hätten sie dich entdeckt.«
    Ich hatte mich noch nie zuvor als jemand gesehen, den man für eine Entdeckung hielt, und an diesem Abend lag ich aufgeregt wach und versuchte mir diesen Moment in absehbarer Zeit vorzustellen, in dem ich auf irgendeine mysteriöse und magische Weise übernommen werden würde.
    An Heiligabend, dem ersten Tag, als es mir gut genug ging, um aus dem Haus zu gehen, besuchten Vater und ich den Zeitschriftenladen, in dem ich ihn vor ein paar Jahren beim Kauf jenes Ostereis erwischt hatte. Ich suchte ein Geschenk für Frances; ihr rotes Päckchen, das sich, jetzt wo sie es verraten hatte, kerzenähnlich anfühlte und auch durchdringend danach roch, lag auf dem bescheidenen Geschenkhaufen unter unserem künstlichen Baum ganz oben.
    Ein merkwürdiger Schriftzug aus Sprühschnee im Schaufenster verkündete: Frohe Weihnachten all unserer Kunden.
    »Unserer Kunden?«, sagte Vater. An den Regalen hingen Fransen aus bunter Metallfolie, und kleine, farbige Lichter blinkten. Hinter dem Ladentisch beklebte eine Verkäuferin gerade Adventskalender und Päckchen mit Weihnachtskarten mit Etiketten, auf denen »halber Preis« stand. Über der Tür hing ein dicker Busch Mistelzweige, und der Zeitungshändler sprang herum und tat so, als würde er alle Mädchen küssen, die hereinkamen. Die Eingangsstufe war mit zertretenen Beeren übersät. Die Geschenkauswahl war ziemlich begrenzt, und nachdem ich mit dem Gedanken gespielt hatte, ein Adressbuch zu kaufen - etwas, das ich oft geschenkt bekam, obwohl ich keine Adressen zum Reinschreiben hatte außer meiner eigenen, von der es unwahrscheinlich war, dass ich sie je nachsehen müsste entschied ich mich für einen Schlüsselring mit Spiegeleianhänger. Das erschien mir passend. Wenigstens hatte Frances ihren eigenen Hausschlüssel. Vater kaufte ein großes Glas Erdnüsse und ein paar Pralinen »für den Baum«.
    Nach dem Tee ließen wir Mutter in der Küche allein, wo sie Kastanien für die Füllung des Weihnachtsbratens schälte, und fuhren zu Frances, um das Geschenk vorbeizubringen. Sie wohnte gute fünfzehn Minuten entfernt in einem etwas heruntergekommenen Teil der Stadt, obwohl Balmoral Road, die belebte Hauptstraße, an der sie wohnte, mit ihren dreistöckigen Viktorianischen Doppelhausreihen recht elegant aussah.
    Im Wohnzimmer brannte Licht und in der Einfahrt stand ein Auto - ein schmutziger gelber Triumph Spitfire mit zerrissenem schwarzem Verdeck aber als Reaktion auf das metallische Klirren der Klingel war nur entferntes Gebell zu hören, gefolgt von Pfotenklappern auf Fliesen und lauterem Bellen. Als ich den Briefkasten aufdrückte, der auf Kniehöhe war, rammte sich eine weiße Schnauze mit einer schwarzen Nase und zwei Reihen scharfer Zähne in den Schlitz. Growth. Schnell zog ich die Hand zurück. Als ich ins Wohnzimmer spähte, konnte ich einen echten Weihnachtsbaum sehen, der mit Lichtern und Lametta geschmückt war. Obwohl der Raum hoch war, hatte der Baum nicht genug Platz, dessen oberster Zweig umgebogen war und eine Plastikfee an die Gipszierleiste fesselte. Auf dem Boden lag ein Erdrutsch aus bunt verpackten Geschenken, der den halben Raum einnahm. Kaminsims und Fensterbänke waren mit Karten vollgestellt. Mitten im Zimmer stand ein

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